Hermann Scheipers hatte eine Mission. Jungen Menschen musste er von damals erzählen: Wie er 1940 als junger Priester von den Nazis verhaftet und ins KZ Dachau gebracht wird, den Krieg überlebt und erneut in Bedrängnis kommt, diesmal durch die rote Diktatur in der DDR. Auch wie er diese Zeit übersteht, damit fesselte er seine Zuhörer immer wieder. Am Donnerstagabend ist Scheipers im Alter von 102 Jahren in Ochtrup gestorben. Er war der letzte noch lebende deutsche Geistliche, der in Dachau inhaftiert war.
Im Visier der Nazis
Scheipers stammt aus Ochtrup im Münsterland. Weil es aber dort in den 1930er Jahren zu viele Priester gibt, entschließt er sich, nach Bautzen in die mitteldeutsche Diaspora zu gehen. Dort empfängt der am 24. Juli 1913 geborene Scheipers die Priesterweihe, um dann als Kaplan in der Landpfarrei Hubertusburg zu wirken. Offenbar mit einigem Erfolg. Wegen seiner selbstbewussten katholischen Jugendarbeit gerät er ins Visier der Nazis. Weil er sich um polnische Zwangsarbeiter kümmert, mit ihnen Messen feiert und ihnen die Beichte abnimmt, wird er im Oktober 1940 verhaftet und fünf Monate später ins KZ Dachau eingeliefert. In seiner Akte, die ihm zufällig in die Hände fällt, liest er die wahre Begründung für die Festnahme: "Scheipers ist ein fanatischer Verfechter der katholischen Kirche und deswegen geeignet, Unruhe in die Bevölkerung zu tragen."
"Nummer 24255"
Der Priester wird - besonders entehrend - gemeinsam mit Kriminellen nach Dachau gebracht. Beim Transport meint einer von ihnen: "Na, haste falsch gesungen auf der Kanzel?" Als Gefangener "Nummer 24255" durchlebt Scheipers die Hölle. "Ihr seid ehrlos, wehrlos und rechtlos. Ihr habt hier zu arbeiten oder zu verrecken", begrüßt der Lagerkommandant die neuen Insassen. Wie viele der in Dachau inhaftierten Priester schuftet Scheipers als Feldarbeiter, bekommt überwiegend wässrige Suppe zu essen. Wer nicht spurt, wird ausgepeitscht, an den Armen aufgehängt oder mit eiskaltem Wasser übergossen. Viele sterben. "Man konnte nur fluchen oder beten", so Scheipers' Erinnerungen.
Er entgeht der Gaskammer
1942 steht er nach einem Schwächeanfall kurz vor seiner Ermordung. Seine Zwillingsschwester Anna fährt nach Berlin zum Reichssicherheitshauptamt und blufft dort den Leiter der Priesterabteilung: Man erzähle sich überall im Münsterland, ihr Bruder solle vergast werden. Und falls es so komme, würden das die Katholiken dort nicht hinnehmen... Die Zivilcourage zeigt Wirkung: Er entgeht der Gaskammer.
Bei aller Bedrohung ist sich Scheipers auch damals der Hilfe Gottes gewiss. "Diese Nähe habe ich sehr häufig spüren dürfen." Unvergessen ist, wie ihm ein mitgefangener Priester vor dem Transport in den Tod seine Brotration gibt. "Jedes Mal, wenn ich die Messe feiere und das Brot breche, denke ich daran." Im April 1945 gelingt Scheipers schließlich bei einem Todesmarsch Richtung Bad Tölz die Flucht.
15 Spitzel in der DDR auf Scheipers angesetzt
Nach dem Krieg arbeitet er wieder an früherer Wirkungsstätte. Als Priester in der Diözese Dresden-Meißen widersetzt er sich den Machthabern im DDR-Unrechtsstaat. Als Scheipers nach der Wende seine Stasi-Akte sichtet, bekommt er einen gehörigen Schreck. 15 Spitzel waren auf ihn angesetzt. Aus den Papieren geht hervor, dass ihm ein Prozess wegen staatsfeindlicher Hetze angehängt werden sollte. "Aus genau demselben Grund saß ich in Dachau", so Scheipers.
Seit seiner Pensionierung hat Scheipers wieder im Münsterland gelebt, von wo er sich ungeachtet von Altersbeschwerden immer wieder aufgemacht hat, um als Zeitzeuge über seine Erlebnisse zu berichten.
Davon gibt auch sein mehrfach aufgelegtes Buch "Gratwanderungen - Priester unter zwei Diktaturen" Auskunft. Auch dieses ist ein Zeugnis für seinen unerschütterlichen Glauben, den er in einem Wort von Romano Guardini ausgedrückt fand: "Die Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten."