DOMRADIO.DE: Ist der Reformationstag ein antisemitischer Feiertag?
Michael Fürst (Vorsitzender der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen): Nein, grundsätzlich ist der Reformationstag als Reformationsjahrestag kein antisemitischer Tag, denn die Reformation ist natürlich nicht nur ein Tag, sondern die Reformation ist ein Zeitraum von Monaten, von Jahren und von Jahrzehnten beinahe. Aber der Reformationstag als Feiertag ist der Tag, an dem Luther die Thesen angenagelt haben soll in Wittenberg. Und das ist schon ein antisemitischer Tag. Das kann man mit aller Deutlichkeit festhalten, denn Luther war ein bekennender Antisemit, zumindest in den letzten Jahrzehnten seines Lebens.
Heute würde man sagen, er war ein Hassprediger und deswegen ist das für uns als Feiertag nicht akzeptabel. Die protestantischen Christen können jederzeit ihren Reformationstag als Luthertag weiterfeiern, aber den Tag uns Juden und auch den Katholiken als Feiertag vorzuschreiben, für die ja der Reformationstag der Spalttag ist, das halte ich für unwürdig.
DOMRADIO.DE: Dieser Tag ist aber trotzdem ein Datum gewesen, das die letzten fünfhundert Jahre in Europa in der ganzen Welt geprägt hat. Und das könnte man dann auch mit einem Feiertag würdigen, oder nicht?
Fürst: Es geht doch nicht um den Tag dabei. Die Reformation ist Jahrzehnte, Jahrhunderte alt. Und ich kann es nur nicht an dem Tag festmachen und sagen, weil die Reformation so toll ist, und weil wir den Jahrestag so toll gemeinsam miteinander gefeiert haben - nicht mit den Juden, um es deutlich zu sagen - müssen wir den Tag nun als Feiertag nehmen.
Der Reformationstag als christlicher Feiertag kann bleiben, aber nicht als gesetzlicher Feiertag. Das ist der entscheidende Unterschied. Und mit der Feier zum 500. Jahrestag hat auch weder der Zentralrat etwas zu tun gehabt noch die katholische Kirche. Nein, wir dürfen die Reformation nicht festmachen an diesem einen Tag alleine, wir müssen sie als Möglichkeit sehen, an jedem Tag im Jahr Reformation feiern zu können. Dafür gibt es 365 Tage, aber nicht den Tag, der uns alle anderen beleidigt - Katholiken, Juden und viele andere mehr.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie dann zu den neuen Bundesländern, wo seit 30 Jahren der Reformationstag ein gesetzlicher Feiertag ist?
Fürst: Die neuen Bundesländer sind nicht mein Thema. Da hat man sich anscheinend darüber keine Gedanken gemacht. Ich bin auch überzeugt davon, dass Stephan Weil und unser neuer Wirtschaftsminister Dr. Althusmann sich wahrscheinlich bei der Vorbereitung dieser Angelegenheit auch wenig Gedanken darüber gemacht haben, was das für Juden und Katholiken bedeuten kann. Es ist ein Wahlversprechen gewesen, und dieses Wahlversprechen muss man nun umsetzen. Was mich an der Sache am meisten stört, ist, dass man uns gegenüber von einer Ergebnisoffenheit gesprochen hat. Aber die Sache war nicht ergebnisoffen, weil die Politik sich schon festgelegt hatte.
DOMRADIO.DE: Wäre es nicht eine Herangehensweise zu sagen, Juden und Katholiken zelebrieren diesen Tag als einen Gedenktag auch im negativen Sinne?
Fürst: Nein, das ist ja nicht so geplant. Die Landesregierung plant diesen Tag als einen Religionsfeiertag für alle Religionen. Und wenn man von drei Religionen - protestantische Christen, katholische Christen und Juden, zwei als Gegner in einem solchen Boot hat, da kann man nicht den Tag durchsetzen wollen.
DOMRADIO.DE: Dann wäre es für Sie keine Alternative, wenn es auch einen jüdischen Feiertag geben würde? In Deutschland wird ja auch schon mal über einen muslimischen Freitag diskutiert.
Fürst: Überhaupt nicht, das ist überhaupt nicht mein Thema. Ich fordere weder einen jüdischen noch einen muslimischen Feiertag. Ich fordere: Wenn die Landesregierung ein Feiertag machen will, dann soll sie einen machen, der für alle verträglich ist, auch für die Humanisten zum Beispiel, die ja einen großen Teil unserer Gesellschaft darstellen.
DOMRADIO.DE: Im Moment wird auch diskutiert, den heutigen Tag, den Grundgesetztag, zum Feiertag zu machen.
Fürst: Ein sehr guter Vorschlag. Es gibt noch viele andere gute Vorschläge. Aber wie gesagt: Der einzige Tag, der nicht in Betracht kommt, ist nun der 31. Oktober, und den nimmt man dafür.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.