DOMRADIO.DE: 290.000 Passagiere werden am kommenden Wochenende über den Flughafen "herfallen", wenn in Nordrhein-Westfalen die Ferien begonnen haben. Gehen da bei Ihnen die Alarmlampen an, weil der Flughafen so überlaufen ist?
Johannes Westerdick (Pastoralreferent, Mitarbeiter der Seelsorge der Düsseldorfer Diakonie): Alarmlampen sind es sicherlich nicht, aber man ist einfach wachsamer. Man versucht, mit genug Personal vor Ort zu sein, weil man natürlich weiß, dass all diese Menschen nicht ständig fliegen, aufgeregt sind oder ihren Check-In suchen. Die Stimmung ist ziemlich stressgeladen. Und wenn gestresste Menschen aufeinandertreffen, kann es natürlich auch mal Konflikte geben. Da müssen wir einfach wachsam sein und an den Stellen unterstützen, wo Verunsicherung herrscht und ein bisschen für Entspannung sorgen.
DOMRADIO.DE: Wenn jemand auf der Suche nach seinem Gate oder nach einer Toilette ist: Auch dafür sind Sie da?
Westerdick: Genau. Wir sind sozusagen "Info Plus". Unser Schalter ist natürlich als Seelsorge-Schalter gekennzeichnet, aber in Stresssituationen erkennen die Menschen nur, dass da jemand ist, der freundlich guckt und den man mal fragen kann. Wir haben natürlich auch die Informationen dazu, wo die Toiletten sind, wie man das Gate findet und nicht den Flug verpasst.
Wenn die Aufregung ein bisschen zu groß ist oder die Stimmung aufgeheizt ist, dann ist es schon mal so, dass wir den Weg auch persönlich zeigen. Auf dem Weg erzählt der Passagier oder die Passagierin eventuell eine Geschichte. Zum Beispiel, dass man zu einer Trauerfeier muss, den Verstorbenen aber jahrelang nicht gesehen hatte, und gar nicht weiß, wie es seiner Familie geht. Es ergeben sich einfach ein paar Gespräche auf dem Weg. Und manchmal sage ich dann: "Sie haben noch ein bisschen Zeit, checken Sie ein, kommen Sie nach dem Einchecken vorbei und dann können wir noch mal in Ruhe miteinander reden".
DOMRADIO.DE: Das ist quasi der Erstkontakt. Daraus ergibt sich dann zum Teil auch mehr, weil Sie nachfragen und nachhaken. Wie oft stoßen Sie dann auf Probleme bei den Menschen, die Sie vorher angesprochen haben?
Westerdick: Das ist je nach Saison unterschiedlich. In der Wintersaison haben wir generell rund 1.500 kurze Anfragen zum Toilettengang und Ähnlichem. Im Sommer haben wir dagegen rund 3.500 dieser Kurzanfragen. Zusätzlich haben wir Beratungssituationen, die zwischen 15 und 30 Minuten oder auch schon mal drei Tage dauern. Das sind in der Winterzeit etwa 80 im Monat, im Sommer aber 120.
Das heißt, da braucht man eine Menge Zeit und Muße und weiß am Anfang des Tages nie, was passieren wird. Das bewältigen wir nur, weil wir einen ganzen Schwung von Ehrenamtlichen haben, die uns an unserem Stand mit unterstützen, sodass wir von morgens sieben Uhr bis abends um sieben geöffnet haben und am Wochenende von zehn bis 16 Uhr.
DOMRADIO.DE: Lust und Frust liegen gerade am Flughafen oft nah beieinander, wenn der Flug verspätet ist oder ausfällt. Das strapaziert natürlich die Nerven. Wie beruhigen Sie? Wie gehen Sie da vor?
Westerdick: Das ist unterschiedlich. Wir gucken natürlich, wie die Person drauf ist und wie sich die Situation gestaltet. Wenn es wirklich stressig wird und zum Beispiel ein Flug umgebucht werden muss, dann unterstützen wir einfach, gehen teilweise mit, übersetzen, erklären, warum es vielleicht doch ein bisschen länger dauert als erwartet.
Gerne verteilen wir auch ein paar kleine Gummibärchen-Tütchen mit unseren Kontaktdaten als Nervennahrung für den Weg. Das löst manchmal schon etwas die Situation, nimmt Spannung raus. Die Passagiere wissen, dass sie jemanden an der Seite haben. Das heißt, man muss gar nicht so laut werden, man muss sich gar nicht so aufregen, weil sich jemand um einen kümmert und erklärt, wenn man etwas nicht verstanden hat.
DOMRADIO.DE: Was sind denn wirklich schwierige Fälle und Situationen, mit denen Sie am Airport in Düsseldorf konfrontiert werden?
Westerdick: Das kann im Extremfall ein Todesfall an Bord sein. Wenn die Maschine gelandet ist, gibt es die Angehörigen als direkt Betroffene, aber auch Crewmitglieder oder Passagiere, die etwas mitbekommen haben. Da muss man schon mit einem größeren Team anwesend sein, um die Situation angemessen zu betreuen.
Oder nach einem Urlaubsflug muss man die Todesnachricht von einem nahen Angehörigen überbringen. Das sind natürlich Situationen, die schon sehr herausfordernd sind. Oder Menschen sind gemeinsam in den Urlaub geflogen und der eine kommt oben im Flieger zurück, der andere unten im Sarg.
Wir haben 20.000 Mitarbeiter am Flughafen. Auch da gibt es Situationen, in denen seelsorgliche Unterstützung nötig ist. Das Alltägliche ist genauso mit dabei wie herausfordernde Situationen.
Oder wenn man an den Absturz der Germanwingsmaschine denkt. Der Absturz ist nicht in Düsseldorf passiert, aber 150 Abholer waren hier am Flughafen. Um diese in einer Absturzsituation zu betreuen, braucht man ein riesiges Team. Wir sind Gott sei Dank mit der Notfallseelsorge im Umfeld sehr gut vernetzt, sodass wir ein sogenanntes Back-up-Team haben und im Notfall direkt 52 Leute zur Unterstützung rufen können.
Das Interview führte Carsten Döpp.