Hilfe für Äthiopiens Unruheregion Tigray läuft schleppend an

Humanitärer Korridor mit Fragezeichen

Seit über einem Jahr führt Äthiopiens Armee Krieg gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray. Zehntausende kamen dabei ums Leben, Menschenrechtler beklagen Kriegsverbrechen. Derweil hakt es bei der humanitären Hilfe.

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Von Markus Schönherr
Menschen sitzen und stehen auf Säcken mit Lebensmitteln, die vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen / © Claire Nevill (dpa)
Menschen sitzen und stehen auf Säcken mit Lebensmitteln, die vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen / © Claire Nevill ( dpa )

Ein Konvoi aus Geländewagen rollt über die Straße, gefolgt von LKWs mit kalkweißem Lack. Auf einigen prangt das blaue Logo des Welternährungsprogramms (WFP), auf den Dächern der anderen weht die Fahne des Roten Kreuzes. Es war der erste Hilfskonvoi seit sechs Monaten, der am Wochenende auf dem Landweg die nordäthiopische Region Tigray erreichte. Allerdings komme die Hilfe seither viel zu langsam voran, wie Beobachter vor Ort warnen. Millionen Tigrayern drohe der Hungertod.

Zehntausende Tote - Millionen Geflüchteter

Seit über einem Jahr führt die Armee von Ministerpräsident Abiy Ahmed Krieg gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) im Norden. Diese wirft dem Friedensnobelpreisträger (2019) Unterdrückung vor und sprach ihm die Legitimität als Regierungschef ab. Zehntausende kamen bei den Kämpfen bisher ums Leben, Millionen mussten fliehen. Zuletzt erhoben Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) schwere Vorwürfe gegen Äthiopiens Armee und deren Verbündete. Kurz nach der Einnahme der Region Ende 2020 hätten Soldaten eine "ethnische Säuberungskampagne" gestartet, Tigrayerinnen vergewaltigt, Familien vertrieben, Farmern das Vieh gestohlen und Männer und Jugendliche bei Massenhinrichtungen erschossen. Die Menschenrechtler sprechen von "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Menschenrechtler sprechen von Kriegsverbrechen in Tigray-Region

Systematische Massenvertreibungen, Vergewaltigungen, Plünderungen und brutale Tötungen: In der umkämpften Tigray-Region des ostafrikanischen Staates Äthiopien begehen Sicherheitskräfte laut einem aktuellen Menschenrechtsreport schwerwiegende Kriegsverbrechen. Die Menschenrechtsgruppen Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) veröffentlichten am 6. April einen Bericht, wonach vor allem Sicherheitskräfte aus der Region Amhara für diese Übergriffe im Westen des Bundesstaates Tigray verantwortlich sind.

Äthiopische Regierungssoldaten fahren auf einem Lastwagen in der Region Tigray / © Ben Curtis (dpa)
Äthiopische Regierungssoldaten fahren auf einem Lastwagen in der Region Tigray / © Ben Curtis ( dpa )

Kaum Durchkommen für Hilfsorganisationen

In Tigray fehlt es so gut wie an allem. Kämpfe erschwerten Helfern den Zugang; zusätzlich warf die TPLF Abiys Regierung vor, die Tigrayer durch eine gezielte Blockade aushungern zu wollen. "Viele Konfliktbetroffene in Tigray leben unter extremen Herausforderungen, ohne Zugang zu Gesundheitsversorgung, ausreichend Nahrung und Grundgütern", so Nicolas Von Arx, Äthiopien-Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Addis Abeba.

Laut UNO sind 90 Prozent der fast sechs Millionen Tigrayer auf humanitäre Unterstützung angewiesen. Neben Lebensmitteln und Medikamenten brachten die Trucks des IKRK nun auch Wasserpumpen, Solarlampen, Kanister und Wasseraufbereitungstabletten nach Tigray. Das WFP lieferte Benzin für die Verteilung der Hilfsgüter und mehrere Tonnen an Lebensmitteln "für Gemeinden am Rande des Hungertods".

Keine Klarheit über Waffenruhe

Der Konvoi erreichte Tigray, nachdem Abiys Regierung Ende März eine Waffenruhe ausgerufen und Tigrays Behörden zugestimmt hatten. Seither läuft die Unterstützung aber schleppend an. "Wir können noch lange nicht von ungehindertem humanitären Zugang sprechen. Das WFP und andere Organisationen müssen bei den staatlichen und lokalen Machthabern für jeden einzelnen Hilfskonvoi um Erlaubnis bitten", sagt William Davison, Äthiopien-Experte der International Crisis Group (ICG). Zudem herrsche "keine absolute Klarheit", was die Waffenruhe angeht. Eine Vereinbarung wurde nie veröffentlicht. Nichtsdestotrotz, betont Davison, scheint in Addis Abeba in den vergangenen zwei Monaten eine Entscheidung gefallen zu sein, die Tigray-Krise politisch zu lösen statt mit Waffengewalt. Für eine weitere Militäroffensive fehlten Abiys Regierung das Geld und die Kapazitäten.

Hilferuf des Bischofs

Ebenfalls skeptisch blickt Abune Tesfaselassie Medhin auf die zögerlich anlaufende Hilfe. Der Bischof der katholischen Eparchie Adigrat in Tigray wandte sich am 6. April mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit. Es gelte nun, "Millionen Menschen vor einer unbarmherzigen, hausgemachten Hungerkrise in Tigray" zu retten. Seit 2020 erlebe die Bevölkerung in Nordäthiopien einen "unbarmherzigen genozidalen Krieg", dessen Auswirkungen die ausgerufene Waffenruhe bisher nicht lindern konnte. "Das aktuelle Tempo, in dem die Zusagen vor Ort ankommen, bringt keine bedeutende Veränderung für das Leben der Menschen, die die letzten 500 Tage komplett abgeriegelt verbrachten", so Tesfaselassie.

Weiterhin blieben die Massen abgeschnitten von Nahrungsmitteln, Medikamenten, dem Bankensystem und "jeglicher Form von Kommunikation". Der Geistliche fordert eine komplette Öffnung, den Abzug der Truppen aus Tigray und Friedensgespräche. Andernfalls, mahnt Tesfaselassie, müsse sich die Welt auf "Leichenberge" in ganz Tigray einstellen - und Bilder von Menschen, die eine "vermeidbare, hausgemachte Hungersnot" dahingerafft habe.

Quelle:
KNA