Die Zelte in den Städten des kurdisch regierten Nordirak sind verschwunden. Die Menschenmassen, die im August 2014 jeden Zentimeter freier Fläche besiedelten, haben mehrheitlich eine stabilere Unterkunft gefunden. Knapp ein Jahr nach der großen Fluchtwelle realisieren viele Vertriebene, dass an eine baldige Heimkehr nicht zu denken ist. Jetzt, so sehen es die beiden christlichen Hilfswerke Caritas International und Diakonie Katastrophenhilfe, ist die Zeit für mittelfristige Projekte, um den Menschen das Ankommen zu ermöglichen: Einkommenschaffende Maßnahmen, Gemeindezentren, psychosoziale Hilfe, Bildungsprojekte.
Hilfswerke leisteten Nothilfe
Die Hilfswerke waren schnell im Nothilfeeinsatz, versorgten die Menschen, die vor dem Syrien-Konflikt oder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) geflohen waren, mit Grundnahrungsmitteln, Hygieneartikeln, Kerosin. Dann kamen Einkaufsgutscheine und Bargeldauszahlungen hinzu. "Wir wollen die Menschen nicht normieren nach dem Motto 'für jeden einen Sack Reis'", sagt Linda Tenbohlen von Caritas International. An langfristige Wiederaufbauprojekte sei auch jetzt noch nicht zu denken. "Aber der immense Druck ist raus; die Menschen sind beständiger", ergänzt ihre Kollegin Anne Dreyer von der Diakonie Katastrophenhilfe.
Praktische Hilfe und Unterricht werden angeboten
So wie in Bazyan im Regierungsbezirk Suleymaniyah. "Freundschaft." "Selbstbewusstsein." "Anderen helfen." "Ehrlich sein", klingt es aus der Runde im Kursraum des "Community Centers" der Diakonie-Partnerorganisation REACH (Rehabilitation, Education and Community Health). An diesem Vormittag suchen elf junge Frauen und Männer nach einem gemeinsamen Nenner: Für das, was allen im Leben wichtig ist. Nach anfänglicher Skepsis zählen die angebotenen Kurse des Zentrums inzwischen 320 Teilnehmer; die Warteliste ist lang. Hier kommen alle zusammen, Vertriebene und Flüchtlinge, Kurden, Syrer und Jesiden.
Angeboten wird praktischer Unterricht etwa im Lesen, für Tätigkeiten am Computer oder handwerkliche Fähigkeiten. Zugleich gibt es psychosoziale Kurse mit Zielen wie Team- und Vertrauensbildung. "Ein völlig neues Konzept in diesem Teil der Welt", sagt Projektmanagerin Alamara Bettiuni - eines, das aufzugehen scheint. "Sie haben mein Haus genommen, aber sie können mir nicht meine Zukunft nehmen", steht in geschwungenen Buchstaben an der Tafel. Das Selbstbewusstsein, das die Teilnehmer des Psychosozialprogramms ausstrahlen, lässt daran wenig Zweifel.
Angebote werden von Flüchtlingen wahrgenommen
An Selbstbewusstsein mangelt es der Syrerin Widad nicht. Als sie im April 2013 mit ihrem Mann und zwei Söhnen von Aleppo nach Bazyan floh, konnte sie weder lesen noch schreiben - ein Handicap, wenn man mit den durch die Flucht vor dem Bürgerkrieg in verschiedene Länder verstreuten Angehörigen Kontakt halten will. Nach einem einmonatigen Kurs im Zentrum chattet sie nun mit der Familie - und auch sonst hat das Gemeindezentrum ihr Leben verändert.
"Vorher hatte ich Angst, aus dem Haus zu gehen. Seit ich einen Kurs im Zentrum besuche, habe ich meine Nachbarinnen kennengelernt, jetzt gehen wir nach Kursende zusammen auf den Markt." Fahrer vom Gemeindezentrum holen die Frauen mit einem Minibus ab und bringen sie auch wieder nach Hause. Die Frauen fühlen sich sicher, und den Männern fällt es leichter, ihren Frauen die Teilnahme an den Kursen zu erlauben. "Das Zentrum", sagt Widad, "ist ein guter Ort. Sie gehen respektvoll mit uns Frauen um."
Länge der mittelfristigen Unterstützung der Hilfswerke unklar
Wie lange und in welchem Umfang sich Caritas International und Diakonie Katastrophenhilfe die mittelfristig angelegten Projekte leisten können, ist unklar. Mit den Bildern der Flüchtlingsströme im Herbst 2014 flossen zwar öffentliche Mittel und Spenden für eine Weile - auch weil es klare Fronten gab, was sonst im Syrien-Konflikt eher schwierig ist. Grundsätzlich aber sind Spenden für langfristige Konfliktgebiete schwer zu generieren. Naturkatastrophen lösen eine größere Hilfsbereitschaft aus.
Nicht nur die Aufnahmeländer im Nahen Osten müssen nach Ansicht von Linda Tenbohlen stärker unterstützt werden. Auch die Einwanderungshürden in Europa müssten niedriger werden. Deutschland, so die Caritas, müsse sich mehr öffnen.