Hilfswerke ziehen halbes Jahr nach dem Erdbeben Bilanz

"Ausmaß der Zerstörung unfassbar"

Dutzende Stunden unter Trümmern: Viele Überlebende der schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien leiden, auch an schrecklichen Erinnerungen. Hilfsorganisationen geben einen Einblick in die Lage und ihre Arbeit.

Autor/in:
Leticia Witte
Erdbeben in der Türkei / © Francesco Pistilli (KNA)
Erdbeben in der Türkei / © Francesco Pistilli ( KNA )

Zerstörte Häuser, Obdachlose, Vermisste, verletzte Menschen an Leib und Seele: Hilfsorganisationen schildern ein halbes Jahr nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien eine große Not von Überlebenden. "Das Ausmaß der Zerstörung ist nach wie vor unfassbar. Obwohl in vielen Teilen der Türkei die Aufräumarbeiten voranschreiten und teilweise mit dem Wiederaufbau begonnen wurde, stehen Millionen von Menschen vor dem Nichts", erklärte der Leiter der Nahostabteilung von Malteser International, Thomas Weiss.

"Es war dunkel, und das Atmen fiel mir mit der Zeit immer schwerer. Ich hielt meine Tochter fest, aber nach zwölf Stunden unter den Trümmern hörte sie auf zu atmen." Mit diesen Worten zitiert die Organisation Care Elcin Ezel aus dem südtürkischen Hatay, die 81 Stunden lang unter den Trümmern ihres Hauses habe ausharren müssen und nun in einem Container lebe. Auch Mutter und Sohn habe sie verloren.

"Unsichtbare Wunden"

Es müssten Trümmer von Gebäuden und Infrastruktur beiseite geräumt werden, sagte Bilal Al-Kurdi, Mitarbeiter der Organisation Hand in Hand for Aid and Development (HIHFAD), mit der Malteser International zusammenarbeitet. "Neben den physischen Auswirkungen leiden die Menschen vor allem unter unsichtbaren Wunden, den psychischen Traumata, die Zeit brauchen, um zu heilen."

Ein schweres Erdbeben hatte am 6. Februar Teile des Grenzgebietes zwischen der Türkei und Syrien erschüttert. Es folgten mehrere Nachbeben. Mehr als 57.000 Menschen verloren den Maltesern zufolge ihr Leben, über 350.000 Gebäude wurden zerstört oder beschädigt. Knapp 18 Millionen Menschen in der Türkei und in Syrien seien direkt von den Auswirkungen betroffen.

Lebensmittel, Hygieneartikel und psychosoziale Hilfen

Nach Schätzungen von Caritas international brauchen fünf Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Das Hilfswerk weitet deshalb seine Arbeit für Überlebende aus und unterstützt nun auch Wiederaufbau und Reparatur von beschädigten Häusern. Zugleich liefen die Verteilung von Lebensmitteln und Hygieneartikeln sowie psychosoziale Hilfen weiter. Auch gehe es darum, bereits Vorsorge für den nächsten, in der Region oft sehr kalten Winter zu treffen. Viele Menschen leben noch immer in Notunterkünften.

Die Organisationen im Bündnis "Aktion Deutschland Hilft" wollen die nächste Stufe der Unterstützung starten: den mittel- und langfristigen Wiederaufbau von Lebensgrundlagen.

Konzentration auf Schwerstverletzte

Das Hilfswerk Handicap International wies darauf hin, dass die Zahl der Menschen mit Behinderung in Reha-Zentren, die Therapien oder Prothesen benötigten, nach oben geschnellt sei. Viele seien traumatisiert. Die Helfer konzentrierten sich auf Physiotherapie und Prothesen für Schwerstverletzte sowie psychologische Unterstützung. Bisher seien rund 10.000 Verletzte versorgt worden. Die Teams hätten 8.000 medizinische Hilfsmittel wie Rollstühle, Geräte zur Verbesserung der Lungenfunktion und Gehhilfen verteilt.

Nach Angaben des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen hatten Hilfsaufrufe in Deutschland nach dem Erdbeben 251 Millionen Euro ergeben. Ende Juli hatte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mitgeteilt, dass Visa, die Menschen aus dem türkischen Erdbebengebiet erhalten haben, zum 6. August auslaufen. Das beschleunigte und unbürokratische Verfahren sei nur für eine gewisse Zeit angelegt. Bislang seien 16.200 Visa ausgestellt worden.

Quelle:
KNA