Historiker Wolffsohn kritisiert Themensetzung der Kirche

"Austauschbarer Verband"

Dass Kirchen im Westen immer mehr einer politischen NGO ähneln, wird inzwischen oft kritisiert. Der Historiker Michael Wolffsohn meint in einem Gastbeitrag: Besonders die evangelische Kirche schafft sich gerade ab.

Michael Wolffsohn / © Wolfgang Borrs (dpa)
Michael Wolffsohn / © Wolfgang Borrs ( dpa )

Aus Sicht des Historikers Michael Wolffsohn macht sich Kirche als Institution allmählich überflüssig – und begeht damit die "größte Dummheit"

"Sie schafft sich selbst ab, denn seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich eher selten mit dem Thema Gott-Mensch", schreibt Wolffsohn in einem Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" (Samstag). Stattdessen befassten sich die Kirchen mehr mit Sexualtheologie, Zölibat, Genderfragen, Sozialethik sowie – besonders die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) – mit Politik.

Kirche verzichte auf ihr "Alleinstellungsmerkmal"

"Mehr als andere betätigt sich die EKD als NGO, als austauschbarer Verband in der Verbandsdemokratie", so der deutsch-jüdische Publizist. Als eine von vielen Nichtregierungsorganisationen verzichte die Kirche auf ihr "Alleinstellungsmerkmal Gottesbotschaft". "Die Kirche macht sich selbst überflüssig", schreibt Wolffsohn.

Zulauf haben Kirche und Diasporajudentum nach seinen Worten nur dort, wo ihr Personal überzeugend glaubt und auch im religiösen Sinne sauber ist. "Wie kann und soll die einzelne Person die religiösen Regeln ihrer Institution einhalten, wenn deren Personal die eigenen Regeln selbst nicht einhält, Wasser predigt und Wein trinkt?"

Zwar gebe es auch glaubwürdige Kirchenleute. Einstweilen sehe es jedoch so aus, "dass Gottes Diener sich weiter an ihm versündigen und sich langfristig selbst überflüssig machen".

In säkularisierter Moderne sei noch Spiritualität

Gleichwohl sieht Wolffsohn auch in der säkularisierten Moderne noch Spiritualität. So gebe es Gottesgläubige oder Menschen, die nicht an den biblisch, kirchlich oder rabbinisch beschriebenen Gott glauben. "Sie glauben eher an eine den Kosmos durchdringende oder beherrschende, zumindest spirituelle Urkraft. Ihr Gott ist nicht tot, er lebt, und er ist anders."

Es sei nicht mehr der Gott der Kirche und der Synagoge. "Ob gut oder schlecht, die islamische Welt ist von dieser Entwicklung Lichtjahre entfernt. Der Islam-Turm wankt noch nicht."

Wichtige Daten aus der Mitgliederstudie der Kirchen im November 2023

Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben erstmals eine gemeinsame Mitgliederuntersuchung vorgelegt. Forsa hatte dafür im Herbst 2022 insgesamt 5.282 repräsentativ ausgewählte Menschen über 14 in Deutschland befragt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Zahlen und Fakten aus der Studie:

Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon (KNA)
Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon ( KNA )
Quelle:
KNA