Victor Hernandez musste nicht lange überlegen, als ihm ein Reporter vor kurzem die Frage stellte, wie er in Zeiten von Corona in der Skid Row zurechtkomme. Nicht die Stadt, nicht der Bundesstaat Kalifornien, nicht die Regierung in Washington - die Freiwilligen der "Los Angeles Catholic Worker" seien diejenigen, die ihn unterstützt hätten.
Ursprünglich stammt die Bezeichnung "Skid Row" aus dem weiter nördlich gelegenen Seattle: Arbeiter transportierten auf seifigen Kufen entlang der "Skid Roads" einst Holzstämme hinunter zum Hafen. Seit der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre ist der Name "Skid Row" landesweit ein Synonym für städtische Armutsviertel.
Coronavirus trifft Armutsviertel hart
Hernandez' Aktionsradius geht über das Ghetto der Obdachlosen, Armen oder Geringverdiener unweit der Wolkenkratzer von Downtown Los Angeles nicht hinaus. Die hiesige Skid Row umfasst 54 Häuserblocks auf weniger als anderthalb Quadratkilometern. Seit mehr als einem Jahrhundert ist sie die Heimat von knapp 5.000 Menschen, die nicht in Wohnungen leben, sondern auf den Bürgersteigen kampieren.
Für religiöse Hilfsorganisationen wie die "Catholic Worker" oder die ökumenische "Union Rescue Mission" (URM) ist das Stadtviertel der "Ground Zero" der Corona-Krise in LA. Seit den 1970er Jahren, als sich die ehemalige Nonne Catherine Morris und ihr Ehemann Jeff Dietrich den Obdachlosen zuwandten, ist das "Catholic Working Center" eine Institution.
Der Andrang der Bedürftigen hat sich hier seit dem Frühjahr verdoppelt, berichtet Matt Harper, Organisator der 1970 gegründeten katholischen Laienorganisation. Das Virus schlägt in dem sozialen Brennpunkt besonders hart zu. Unter Menschen, die auf engstem Raum zusammenleben und das Gebot der sozialen Distanz nur schwer einhalten können, hat Covid-19 das Potenzial, sich wie ein Lauffeuer zu verbreiten.
Längst geht es den Hilfsorganisationen nicht mehr nur um die Verpflegung der Menschen ohne Einkommen und ohne Dach über dem Kopf. Suppenküchen sind zwar nötig. Doch die größte Herausforderung derzeit sind Hygiene und medizinische Versorgung.
Zeit der Improvisation
Für das Zentrum der "Catholic Worker" ist dies eine Zeit der Improvisation. Die Stadt habe zwar mobile Toiletten und Waschstationen zur Verfügung gestellt, sagt Harper, doch Wasser, Toilettenpapier und Seife fehlten oder stünden nur sporadisch zur Verfügung.
Auch die als "Hippie-Küche" bekannte Suppenküche der katholischen Helfer operiert derzeit am Rand ihrer Möglichkeiten. In normalen Monaten verteilt sie etwa 300 Kilogramm Essen, überwiegend Bohnengerichte, die satt machen und vorhalten. Seit Ausbruch der Pandemie hat sich die Kundenzahl den Angaben zufolge verdoppelt.
Die Organisation, die neben der Suppenküche auch eine Herberge für Obdachlose, ein Hospiz und eine Zeitung finanziert, lebt ausschließlich von privaten Spenden. Zuwendungen von Unternehmen und der Kirche werden weder angenommen noch erbeten.
Ende März schon fast 2.600 Obdachlose infiziert
Schon Ende März waren laut einer Studie im Großraum Los Angeles fast 2.600 Obdachlose mit dem Coronavirus infiziert. Etwa 900 von ihnen landeten auf Intensivstationen. Der erste Corona-Fall in der Skid Row wurde am 31. März gemeldet.
Seitdem ist auch die "Union Rescue Mission" im Notmodus, die hier ein fünfstöckiges Gebäude für Obdachlose betreibt. Ende März wurden fast 100 Bewohner, inklusive freiwillige Helfer, positiv auf das Virus getestet. Ein harter Schlag für die ökumenische Hilfsorganisation mit ihrer fast 130-jährigen Geschichte. "Wahrscheinlich die herausforderndste Zeit der Mission", sagt der Vorstandsvorsitzende, Pfarrer Andy Bales.
Michael Christopher Brown hat für den "National Geographic" den Alltag in der Skid Row fotografiert. Die Bilder zeigen, wie Menschen dicht an dicht anstehen, um Hilfe zu bekommen. "Eine infizierte Person kann schnell das Virus verbreiten," weiß der Fotograf.
Viele Betroffene verstehen das womöglich nicht. Und nicht wenige legen wie Fatima ihr Schicksal in die Hand Gottes. "Das Gebet wirkt", sagt die 37-Jährige: "Gott erhört uns."