"Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung..." Homers Epos vom Trojanischen Krieg, das um 700 vor Christus entstand, hat die Menschen seit Jahrhunderten fasziniert.
Auch Heinrich Schliemann ließ sich schon als Kind von Odyssee und Ilias begeistern. Vor 150 Jahren, am 9. April 1870, nahm der Self-Made-Archäologe den antiken Dichter beim Wort und begann mit Ausgrabungen an der türkischen Westküste, wo er die Überreste Trojas vermutete.
Pastorensohn und Sprachengenie
Schliemann entstammte einer mecklenburgischen Pfarrersfamilie, in die er am 6. Januar 1822 als fünftes von neun Kindern hineingeboren wurde. Weil sein Vater das Geld für den höheren Schulbesuch nicht aufbringen konnte, begann Heinrich eine kaufmännische Lehre und eine Karriere als Geschäftsmann.
Sein Leben liest sich wie ein Roman: Der Pastorensohn lernte in sechs Jahren 15 Sprachen. In Russland erzielte er seit 1846 enorme Gewinne mit dem Farbstoff Indigo und mit Salpeter. In Kalifornien vervielfachte er sein Vermögen während des Goldrausches. Als mehrfacher Millionär konnte er sich seit 1864 ins Privatleben zurückziehen und Studien der Antike betreiben. Er reiste nach Ägypten, Asien, Amerika und studierte alte Sprachen, Literatur und Altertumskunde an der Pariser Sorbonne.
Schliemann ist 46 Jahre alt, als er 1868 eine Bildungsreise auf den Spuren Homers unternimmt. Auf Korfu und Ithaka sucht er vergeblich den Palast des Odysseus. Zufällig trifft er an der Westküste Anatoliens den britischen Diplomaten Frank Calvert, der den Hügel Hisarlik bei der Stadt Burnabaschi als möglichen Standort Trojas identifizierte. Calverts eigene Grabungen verliefen jedoch wortwörtlich im Sande. Weil sein Geld zur Neige ging, überzeugte er Schliemann, weiter zu graben.
Erfolge bleiben lange aus
Archäologie ist im 19. Jahrhundert so etwas wie Schatzsuche. Reiche Außenseiter sind keine Seltenheit. Schliemann geht bei seinen Grabungen in Hisarlik grobschlächtig vor: Seit 1870 lässt er, zunächst ohne Grabungserlaubnis der osmanischen Behörden, einen 40 Meter breiten und mehr als 15 Meter tiefen Graben durch den Hügel treiben, ohne Rücksicht auf jüngere Siedlungsschichten. Erst 1871 bekommt er die offizielle Grabungserlaubnis.
Erfolge bleiben lange aus. Erst im Mai 1873 entdeckt der nur 1,56 Meter große Schliemann am Fuß einer Umfassungsmauer Goldschmuck, Kupferbecher und Silberdolche: Der Archäologe legt einen der prunkvollsten Schätze der Antike frei, den "Goldschatz des Priamos", wie der geniale Selbstvermarkten ihn sogleich tauft. Mit dem König von Troja haben die Funde allerdings nichts zu tun, Schliemann hat zu tief gewühlt. Heute werden die Schätze der Bronzezeit um 1.600 v. Chr. zugeschrieben.
Schliemann schmuggelt die Beute nach Berlin, wo er sie "dem Deutschen Volke" schenkt - im Zeitalter des Nationalismus ist Archäologie eine Waffe im Konkurrenzkampf der Europäer. Damit hat der selbsternannte Archäologe auch sein persönliches Ziel erreicht: In wissenschaftlichen Kreisen erntet er die Anerkennung, die ihm so lange versagt geblieben war.
Und Schliemann gräbt weiter, unter anderem in Mykene. Dort fördert er 1874 eine prächtige Totenmaske aus Gold zutage. Für ihn kann das nur die Maske des mykenischen Heerführers Agamemnon sein - in Wirklichkeit ist auch sie deutlich älter, wie Schliemann noch kurz vor seinem Tod erfährt.
Wegbereiter der modernen Archäologie
Im November 1890 ließ sich der Forscher in Halle an der Saale an einer Ohrgeschwulst operieren. Entgegen dem Rat der Ärzte reiste er dann zurück in Richtung Griechenland und besuchte Pompeji. Er starb er am 26. Dezember 1890 in Neapel.
Heute gilt Schliemann als einer der Wegbereiter der modernen Archäologie. Er hat sich auch mit der Vorstellung durchgesetzt, dass Homers Epen einen historischen Kern haben. Ob sich im Hisarlik-Hügel tatsächlich das Troja der Ilias befindet, bleibt allerdings umstritten.
Den "Schatz des Priamos" nimmt zum Ende des Zweiten Weltkriegss die Roten Armee als Kriegsbeute mit. Ein halbes Jahrhundert gelten die Kostbarkeiten als verschollen, bis die russische Regierung die Verwahrung im Moskauer Puschkin-Museum bestätigt. Dort befindet sich der Schatz auch heute noch.