DOMRADIO.DE: Sie haben sich in Ihrem neuen Buch "Was hält uns zusammen?" mit der deutschen Einwanderungsgesellschaft beschäftigt. Was macht denn unsere Identitätskrise aus? Wie verunsichert sind wir denn tatsächlich?
Peter Tauber (Früherer Generalsekretär der CDU): Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, das hat mit vielen Faktoren zu tun. Zum einen natürlich damit, dass sich unsere Welt, auch die Welt um uns herum, dramatisch verändert. Und jetzt beschäftigen wir uns aktuell mit der Corona- Pandemie. Das ist ja auch eine Art Krise.
Die letzte Krise, die sogenannte Flüchtlingskrise, hat viel damit zu tun gehabt, dass Menschen, die aus anderen Teilen der Welt kamen, Zuflucht bei uns gesucht haben.
Darüber gab es große Kontroversen. Ich habe den Eindruck, dass viele dieser Kontroversen gar nicht so sehr mit den Menschen zu tun haben, die zu uns gekommen sind, sondern auch mit uns selbst. Mit der Frage, wer wir sein wollen, wer eigentlich zu uns gehören kann, auch mit der Frage, wer zu uns passt. Offensichtlich haben wir da nicht wirklich eine Antwort.
DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrem Buch ziemlich deutlich: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und weiter unterstreichen Sie den Satz, den Wolfgang Schäuble und Angela Merkel in die Debatte damals geworfen haben: Der Islam gehöre zu Deutschland. Was heißt das? Der Islam gehört zu Deutschland?
Tauber: Also, wir haben ja zwei Perspektiven. Wir haben die Perspektiven aus Sicht eines Bürgers, einer Bürgerin und die Perspektive des Staates. Jetzt bin ich selber gläubiger evangelischer Christ und bin auch der festen Überzeugung, dass nach wie vor zentrale Werte unseres Staates auf christlichen Werten basieren. Das muss man ja heute in einer zunehmend säkularisierten Welt immer wieder erklären, dass das Grundgesetz ohne Aufklärung, aber vor allem auch ohne christliche Werte gar nicht zu verstehen ist.
Die Würde des Menschen in Artikel 1 resultiert ja automatisch sozusagen aus dem christlichen Menschenbild. Aber der Staat hat eben auch bei der Religionsfreiheit eine gewisse Neutralität zu wahren. Und ich finde, Bischof Franz-Josef Overbeck hat das ganz schön beschrieben, indem er gesagt hat: Staat und Religion sind in Deutschland ungetrennt, aber auch unvermischt. Das heißt, es muss neben dem Christentum in unserem Staat auch Platz sein für andere Religionen, wenn wir das ernst meinen mit der Religionsfreiheit.
Und dann ist natürlich die spannende Frage: Wie halten wir es denn mit dem Islam? Gerade wenn wir wissen, dass Teile des Islams oder der islamischen Gemeinschaften mit dieser Grundsatzentscheidung, der ja alle Christen zustimmen, zumindest in Deutschland, eben auch noch Probleme haben. Das muss man offen benennen. Das ist eben so klar in Teilen der islamischen Welt nicht durchdekliniert.
Trotzdem muss der Staat sich verhalten. Und meine These ist eben, dass man einen möglichen Widerspruch auflösen muss und dass sich auch Muslime als gute deutsche Bürger fühlen können müssen. Aber dazu müssen sie ja auch angenommen werden von dieser staatlichen Ordnung.
Deswegen halte ich den Satz nach wie vor für richtig, wenngleich, wie gesagt, unser Land eine christliche Prägung hat und wir wissen, dass es in Teilen der islamischen Gemeinschaften auch Probleme mit der Akzeptanz unserer staatlichen Ordnung und ihren Werten und Normen gibt.
DOMRADIO.DE: Sie berufen sich in ihrem Buch immer wieder auch auf das liberale Preußen als Vorbild, auch was die Religionsfreiheit betrifft. Inwiefern hat das liberale Preußen da tatsächlich Maßstäbe gesetzt für Sie?
Tauber: Na, ich glaube, gerade für katholische Christen, die sich mit deutscher Geschichte beschäftigen, fällt einem bei Preußen natürlich auch sofort der Kulturkampf unter Bismarck ein. Das war dann zwar schon dezidiert Deutsches Reich und nicht so sehr Preußen, aber es zeigt ja nun eben, dass auch Christen ein großes Interesse daran haben, dass der Staat ihnen neutral, aber vielleicht auch wohlwollend gegenübertritt.
Da haben wir in der preußische Geschichte den Alten Fritz, demzufolge "Jeder nach seiner Façon selig werden soll", das ist ja dieses berühmte Bonmot. Das ist aber durch vieles hinterlegt, zum Beispiel auch durch den Bau der Hedwigs-Kathedrale in Berlin an einer Stelle, wo bis dato der Protestantismus die prägende Kraft war. Das zeigt, dass der Staat Akzente setzen kann, um seine Bürger auch zu einem bestimmten Verhalten zu animieren.
Warum sollte der Staat das tun? Weil aus meiner Sicht der Staat, zumindest der säkularisierte, aufgeklärte Staat, als der wir uns ja beschreiben, und das hat viel mit Kant und dem liberalen Preußen und auch Humboldt und anderen preußischen Denkern zu tun, weil dieser Staat trotzdem ein Interesse haben muss, dass Menschen in ihrem Leben Werte und Normen als handlungsleitend empfinden. Und es sind in der Regel ja Menschen mit religiösem Bekenntnis.
Das hören viele, die kein religiöses Bekenntnis haben - und uns in Deutschland ist immer noch das Christentum die prägende Religion - nicht so gerne. Aber Sie wissen ja wahrscheinlich selbst, dass es viele Studien gibt, die belegen, dass Menschen, die an etwas glauben, vor allem auch Christen, sich in unserer Gesellschaft über Gebühr ehrenamtlich engagieren, Verantwortung übernehmen für den Staat. Also offensichtlich gibt es da eine Verbindung. Und deswegen muss der Staat ein Interesse dran haben, die Religionsfreiheit zu gewähren und auch zu fördern.
DOMRADIO.DE: Sie beschreiben in Ihrem Buch, in welchem Verhältnis Religion und Staat stehen. Und als Beispiel für ein gelungenes Miteinander führen Sie da auch den Bau des Kölner Doms im 19. Jahrhundert an? Warum?
Tauber: Das geschah ja zu einer Zeit, in der sich Protestantismus und Katholizismus in Deutschland nicht in der Ökumene bei allen Streitfragen, die es theologisch geben mag, auch verbunden fühlen, sondern eher konfrontativ gegenüberstanden. Und dass das preußische Herrscherhaus Interesse daran hat, ein katholisches Gotteshaus fertig stellen zu lassen, an dem über Jahrhunderte gebaut wurde, ist dann schon bemerkenswert.
Ich war erst vor kurzem in Köln, es ist ja beeindruckend, dass dieses Gebäude immer noch die ganze Silhouette dieser Stadt prägt und damit ja ein Statement ist, wenn Sie so wollen, und auch eine Art Versöhnungsangebot an die damaligen katholischen preußische Bürger war, zu sagen: Ihr gehört natürlich dazu.
Selbst wenn das Herrscherhaus protestantisch ist und selbst wenn die Mehrzahl der Bürger Protestanten sind, gehört ihr im Rheinland als gute Katholiken natürlich dazu. Das hatte damals eine Bedeutung, vielleicht auch eine Sprengkraft, die wir uns heute nur schwer vorstellen können, aber die nicht so weit weg ist von den von dem durchaus auch mit Provokationen gedachten Satz "Der Islam gehört zu Deutschland".
Denn, das muss man ja umgekehrt sagen, auf protestantischer Seite gab es ja auch die Abwehrreaktion zu sagen: Wir wollen, dass die katholischen Bürger Preußens gleichberechtigt neben uns stehen. Das sind politische Entscheidungen. Und ich glaube, dass am Ende - ich habe jetzt die negative Seite benannt - der Kulturkampf unter Bismarck und dieses Beispiel jedoch zeigen, was die bessere Entscheidung auf preußischer Seite war.
DOMRADIO.DE: Was können oder was sollten die Kirchen tun, um ihrer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden, damit eben dieser Zusammenhalt auch gelingen kann?
Tauber: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich gehöre nicht zu denen, die ständig an den Kirchen rummäkeln. Ich finde, die Kirchen, sowohl die evangelische als auch die katholische, leisten so viel Herausragendes für unser Gemeinwesen, auch für diesen Zusammenhalt.
Dass Christen dabei auch in den Kirchen Fehler machen, das finde ich, ist kein Beleg gegen die eigentliche Mission. Unser Land muss froh und dankbar sein, wenn es Menschen hat, die sich in den Kirchen engagieren. Deswegen bin ich froh um kirchliches Engagement, auch um viele Bischofsworte, die ich in der öffentlichen Debatte wahrnehme. Und ich finde ehrlich gesagt, es gibt andere, die sich selbstkritisch prüfen müssen. Nicht immer nur Christen und die Kirchen. Bei aller christlicher Demut: Ich finde, das ist eine der schönsten christlichen Tugenden. Da dürfen wir auch ein bisschen Selbstbewusstsein haben und darauf schauen, was sie diesem Land jeden Tag bieten.
Das Interview führte Carsten Döpp.