Pell über Missbrauchsvorwürfe und Gefängnis

"Ich hatte ein gutes Leben"

Kardinal George Pell vollendet am 8. Juni sein 80. Lebensjahr. Der Australier war Finanzchef im Vatikan. Nach Vorwürfen sexuellen Missbrauchs wurde gegen ihn ermittelt. Pell über seine Gefängniszeit, Finanzskandale und synodale Wege.

Kardinal George Pell / © Gregorio Borgia (dpa)
Kardinal George Pell / © Gregorio Borgia ( dpa )

KNA: Herr Kardinal, wie werden Sie Ihren 80. Geburtstag feiern?

George Kardinal Pell (australischer Kurienkardinal): Zu Hause in Australien in Quarantäne. Erst war die Rede von einer großen Party, aber ich feiere lieber später mit Familie und einigen Freuden. Einzige Bedingung: keine Ein-Zimmer-Quarantäne; die Zeit in Einzelhaft hat mir gereicht.

KNA: Für was sind Sie besonders dankbar?

Pell: Ich hatte bisher ein gutes Leben. Ohne nationalistisch zu sein, bin ich dankbar für die Tatsache, dass ich Australier bin. Unser Land ist durchaus eine Erfolgsgeschichte - nach einem unglücklichen Start. Und ich bin sehr dankbar für mein Priestertum, die Gelegenheiten, die ich hatte im Leben.

KNA: Was bereuen Sie?

Pell: Nicht vieles, einige Dinge, die ich falsch gemacht habe, keine größeren Fehler.

KNA: Keine Weggabelung, wo Sie zurückschauend sagen: Da hätte ich anders abbiegen sollen?

Pell: Grundsätzlich habe ich mich früh entschieden, das zu tun, was von mir verlangt wurde - und das habe ich im Grunde bei allen großen Themen getan. Darin liegt eine gewisse Sicherheit; und es hat funktioniert, was nicht unbedingt selbstverständlich war.

KNA: Vor über einem Jahr hat Australiens Oberster Gerichtshof Sie von der Anklage des Missbrauchs freigesprochen hat. Was hat sich dadurch verändert?

Pell: Nun: Ich bin ein freier Mann, raus aus dem Gefängnis. Das ist doch etwas! Immerhin war ich war in Einzelhaft. Das Gefängnis war sonst nicht allzu schlecht; klar: demütigend, langweilig, monoton, nicht wie ein Gulag. Aber nun bin ich ein freier Mann - und auch öffentlich kein verurteilter Mann mehr.

KNA: Hatten Sie seither Kontakt mit Kardinal Angelo Becciu, Ihrem ärgsten Widersacher bei der Finanzreform der Kurie?

Pell: Er schrieb mir zu Weihnachten, aber abgesehen davon nicht.

KNA: Seither hat der Papst etliche Reformmaßnahmen ergriffen. Sind diese aus Ihrer Sicht als ehemaliger Präfekt des Wirtschaftssekretariates ausreichend?

Pell: Auf jeden Fall weisen sie in die richtige Richtung. Auch bewundere ich die Integrität und Kompetenz meines Nachfolgers, Pater Guerrero. Der Papst hat eine besonders wichtige Entscheidung getroffen: ein Expertengremium geschaffen, das sich mit Investitionen befassen soll. Das soll alle vatikanischen Gelder sammeln und sachverständig anlegen. Seit Jahrzehnten war bekannt, dass die Leute, mit denen die Investoren des Vatikan zusammenarbeiten, verdächtig sind, unseriös. Nach dem Flop des vatikanischen Staatssekretariates in London sieht man besser, warum all diese Dinge passiert sind. Wohlwollend ausgedrückt: Die waren spektakulär erfolglos.

KNA: Die katholische Kirche in Australien startet im Herbst ein Plenarkonzil. Dort wie in den USA, Irland, Deutschland hat die Kirche enorm unter dem Missbrauchsskandal gelitten. Was muss passieren?

Pell: Die Missbrauchskrise ist nicht der Kern unserer Probleme. Der zahlenmäßige Rückgang bei Berufungen, Gottesdienstteilnahme, hat viel früher begonnen. Und er setzt sich trotz der Aufarbeitung fort. Es wäre daher eine totale Fehlinterpretation zu meinen, diese furchtbare Krise verlange ein völliges Umdenken bei unseren Strukturen oder der Art, wie wir leben. Wir brauchen keine weitere protestantische Kirche. Liberale Protestanten verlieren noch viel schneller und mehr Mitglieder als wir. Eine entscheidende Frage, der wir in Australien, aber auch Sie in Deutschland sich stellen müssen, lautet: Sind wir Diener und Verteidiger der apostolischen Tradition, des Glaubens, der Offenbarung - oder deren Herren, so dass wir sie grundlegend ändern könnten?

Ich glaube nicht, dass es in Australien Katholiken gibt, die Sterbehilfe und Abtreibung auf die Agenda setzen wollen. Aber sicher möchten dort einige die christliche Lehre über Sexualität umschreiben, indem sie homosexuelle Partnerschaften segnen wollen. Einige möchten die Lehre Jesu hinsichtlich Wiederheirat und Ehebruch ändern, manche Paulus' Lehre zu den Bedingungen für Kommunionempfang, einige auch Frauen zu Priestern weihen. All das jedoch verträgt sich nicht mit der apostolischen Tradition. Ich glaube, dass die Mehrheit der normalen Gläubigen diese Rechtgläubigkeit unterstützt. Und sicher wollen die Ortskirchen in anderen Ländern nicht solche wesentlichen Änderungen der Lehre.

KNA: Aber Sie geben zu, dass über Verantwortlichkeiten, Entscheidungsprozesse und Strukturen gesprochen werden muss, weil der Missbrauchsskandal Schwachpunkte offengelegt hat?

Pell: Natürlich, und ich unterstütze das. Aber wir haben nicht gesündigt oder große Fehler begangen, indem wir der kirchlichen Lehre gefolgt sind. Jemand, der sich an die Lehre hält, begeht keinen Missbrauch. Bischöfe, die sich daran halten, können mit Fehlverhalten umgehen und versuchen zu verhindern, dass es sich wiederholt. Dennoch wird es immer wieder Fehlverhalten geben. Sünde - das ist katholische Lehre - wird es immer geben; es sei denn, man definiert sie weg.

KNA: Was entgegnen Sie jemandem, der schulterzuckend sagt: Solange Frauen in der katholischen Kirche nicht voll gleichberechtigt sind, solange wegen veralteter Auffassungen Homosexuelle weiter diskriminiert werden, interessiert mich eure Botschaft erst gar nicht?

Pell: Ich würde sagen: Das tut mir leid, aber es ist nicht meine Lehre; ich folge Jesus Christus. Was er lehrte, hat 2.000 Jahre überdauert; heute hat er 1,3 Milliarden katholische Anhänger. Und ich fände es schön, wenn auch du ihm folgtest. Aber ich kann Jesu grundlegende Lehren nicht ändern und würde es auch nicht wollen.

KNA: Dann sagen Sie im Grunde: Nimm's oder lass es bleiben.

Pell: Nein, ich würde sagen: Komm, probiere es aus, es funktioniert. Es hat für mich im Gefängnis funktioniert - der grundlegende christliche Glaube. Ich meine, wir stehen für etwas. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir nicht gesellschaftlichen Trends zu folgen, sondern Jesus Christus. Das zeigt sich auch soziologisch: Religiöse Gruppen, die eine feste, klare Lehre haben, überleben besser als liberale. Die Kinder liberaler Christen werden Agnostiker.

Das Interview führte Roland Juchem.


Papst Franziskus und George Pell / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und George Pell / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA
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