Das Chorleben in Deutschland ist in der Corona-Krise nahezu ausgebremst worden. Der erzwungene Verzicht auf Präsenzproben, fehlende Auftritte und eine zwischenzeitlich unsichere Perspektive, aber vor allem der schmerzliche Verlust eines für Kinder und Jugendliche notwendigen Gemeinschaftserlebnisses über weite Strecken des Jahres müssen zweifelsohne auf der Soll-Seite verbucht werden. Ganz zu schweigen von dem mit diesem Manko einhergehenden Qualitätsverlust und einem schleichenden Mitgliederschwund, der sich durch die Chöre aller Generationen zieht. Doch besonders hart trifft das Ensembles, die auf ständige Nachwuchsgewinnung angewiesen sind wie zum Beispiel die Kathedralchöre mit ihren vielen, vielen jungen Sängerinnen und Sänger, die jedes Jahr ihrer Chorgemeinschaft mit dem Abitur oder Ausbildungsplänen entwachsen oder – bei den Knaben – stimmbruchbedingt erst einmal auf unbestimmte Zeit aussetzen und nur bedingt in die Männerstimmen Tenor und Bass wieder einsteigen.
Umso dankbarer ist Domkapellmeister Eberhard Metternich, dass seine Bilanz da eher positiv ausfällt. Denn in einem feierlichen Aufnahmeritual mit Domdechant Robert Kleine am vergangenen Wochenende konnte er – dem allgemeinen Trend zum Trotz – mit 25 Nachwuchsknaben den Kölner Domchor verstärken. "Nicht selbstverständlich" findet er das nach 16 Monaten Hängepartie. Denn wie die im Mai veröffentlichte Studie der Katholischen Universität Eichstätt „Chormusik in Coronazeiten“ erhoben hat, hat jeder achte Kinder- und Jugendchor die Pandemie nicht überlebt. Andere erwarten, nicht mehr in der früheren Besetzungsstärke weiterarbeiten zu können; 15 Prozent rechnen sogar mit einem deutlichen Mitgliederrückgang. Außerdem habe gerade der Zusammenhalt bei den Nachwuchschören besonders gelitten – auch das eine Erkenntnis der aktuellen Untersuchung. Sie seien gegenüber Unterbrechungen des Normalbetriebs besonders anfällig. Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Chorlebens sei absehbar erst einmal nicht zu erwarten, heißt es weiter.
Endlich wieder eine Perspektive für den Chorgesang
Nun sind die Chöre am Dom eng an ihre Ausbildungsstätten Kölner Domsingschule und Musikschule der Dommusik gebunden. Das heißt, in der Regel wachsen bereits die Grundschüler der ersten Klasse in behutsamen Schritten in dieses Chorengagement hinein, so dass zur Halbzeit im vierten Schuljahr traditionell immer die offizielle Aufnahme in den Domchor bzw. den Mädchenchor am Kölner Dom erfolgt. Was diesmal um vier Monate nach hinten verschoben werden musste. Doch nicht nur dieser Art von "Automatismus" verdankt sich ein konstantes Nachrücken der etwa Zehnjährigen. Auch das Gesamtpaket stimmt: Schon im letzten Kita-Jahr können Fünfjährige die Vorschule im Lindenthaler Chorzentrum besuchen und spielerisch mit Musik in Kontakt kommen, um später voll in den Chorbetrieb einzusteigen. Oder auch die vielen Auftritte in der Liturgie, in Konzertsälen und der Oper sowie Chorfahrten und internationale Konzertreisen machen Singen in der Dommusik für Kinder und Jugendliche als Hobby attraktiv.
"Auch wenn vieles in den zurückliegenden Monaten nicht möglich war und eine ermüdende Durststrecke hinter uns liegt, sind es gerade die Kinder, die wieder eine große Begeisterung beim gemeinschaftlichen Singen zeigen und sich freuen, dass es endlich eine Perspektive gibt", beobachtet Metternich. "Gerade die Jüngsten sind hochmotiviert und mit viel Power bei der Sache. Das hat sich auch bei der letzten Hürde, dem obligatorischen Aufnahmetest, gezeigt", stellt der Leiter der Kölner Dommusik zufrieden fest.
Chorleiter Metternich: Die Kinder brennen für den Neustart
"Jedenfalls bedeuten 25 neue Knaben die Zukunftssicherung des Chores für die nächsten Jahre. Das beweist, dass Corona nicht gewonnen hat, sondern wir nun mit frischer Energie neue Projekte planen können." Aktuell gehe es darum, sich in der großen Chorgemeinschaft neu zu finden und die sonst üblichen Strukturen regelmäßiger Proben wieder aufzubauen. "Aber die Kinder haben sich im Endspurt noch einmal mächtig ins Zeug gelegt. Die brennen geradezu für das, was jetzt wieder neu startet: nämlich Treffen in größeren Gruppen, um auch wieder mehrstimmige Motetten zu singen."
Er sei total überrascht gewesen, wie gut sich jeder einzelne auf das offizielle Vorsingen – zum Teil mit Übe-Videos in der Dommusik-Cloud zuhause – vorbereitet habe. "Wenn man bedenkt, dass es zeitweilig überhaupt keine Proben gab und dann über lange Zeiträume nur Online-Proben, bin ich sehr angetan, wie positiv sich die Neuen entwickelt haben – stimmlich, musikalisch, sozial – und wie schnell sie Erlerntes umsetzen. Obwohl lange kein Ziel in Reichweite war, haben sie nicht aufgegeben. Das macht mich ehrlich auch ein bisschen stolz", so Metternich. Nun wachse eine Basis heran, auf der er in den nächsten Jahren kontinuierlich aufbauen könne. "Diese 25 Knaben sind in zwei Jahren die Leistungsträger des Chores."
Spaß am Singen – das Gebot der Stunde
Solche Nachwuchszahlen machten ihn zuversichtlich, den Chor schon bald wieder auf sein altes Niveau bringen zu können, auch wenn vielerorts gerade im Knabenchorbereich viel Qualität verloren gegangen sei. "Trotzdem war es richtig, die Corona-Maßnahmen der Regierung zu unterstützen und die Chorarbeit im harten Lockdown auszusetzen", betont der Musikpädagoge. "Wenn die Kinder nicht zur Schule gehen dürfen, können wir sie auch nicht zu Proben versammeln."
Im Übrigen sei das in dieser Zeit neu installierte Chorgebet am Sonntagabend im Kölner Dom mit sehr kleinen Besetzungen genau die richtige Antwort auf die Sorgen und Ängste der Menschen gewesen; es schaffe Abstand zum Alltag und erfreue sich großer Beliebtheit. Und damit schon bald möglichst alle – auch die Älteren – wieder ans Singen kämen, würde er mehr Probenzeiten als sonst anbieten, zumal immer noch nicht die volle Chorstärke von etwa 120 Sängern erlaubt ist. "Wichtig ist, dass die Jungen spüren, wie positiv Singen einen selbst verändern kann, und alle Spaß daran haben. Das ist das Gebot der Stunde."
Glückwünsche auch von Erzbischof und Dompropst
Eine Kostprobe dieses Stücks wiedergewonnener Normalität erlebten die Gottesdienstbesucher dann am Samstagabend im Kölner Dom. "Ihr seid in diesen langen Monaten der Ungewissheit bei der Stange geblieben und singt von nun an zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen. Das ist eine ganz großartige Leistung", wandte sich Domdechant Kleine an die neuen Knaben und dankte für deren Bereitschaft, sich jetzt immer an den Sonn- und Feiertagen in den Dienst der Liturgie zu stellen. "Ihr habt Außerordentliches in der Pandemie geleistet. Nun ist Eure Aufnahme in den Domchor so etwas wie das Einbringen der Ernte." Kleine überbrachte den Sängern und ihren Familien außerdem die Glückwünsche des Erzbischofs, des Dompropstes und des gesamten Domkapitels. "Unsere Dommusik hat mit diesem Nachwuchs eine Zukunft", betonte der Domdechant. "Eure Aufnahme ist ein gutes Zeichen dafür, dass es weitergeht. Dafür bin ich sehr dankbar."
Auch Zelebrant Domvikar Tobias Hopmann, der Präses der Chöre am Kölner Dom, der sich den Glück- und Segenwünschen anschloss, würdigte den Einsatz der Nachwuchssänger bei ihrer Dompremiere. "Euer Gesang belebt unsere Liturgie und ist ein wichtiges Glaubenszeugnis. Schön, dass Ihr nun richtig dazu gehört", sagte Hopmann nach dem Zeremoniell im Altarraum und gratulierte den Kindern zu ihrer neuen Aufgabe. "Ich freue mich, dass wir uns nun immer im Kölner Dom sehen. Toll, dass Ihr dabei seid!"
Beatrice Tomasetti