Zehn Jahre internationales katholisches Kinderschutzzentrum

Im Kampf gegen den Moloch des Missbrauchs

Vor zehn Jahren wurde das katholische Kinderschutzzentrum gegründet. Heute gilt die zu einem Hochschulinstitut für Safeguarding ausgebaute Einrichtung in Rom als eine Speerspitze im Kampf gegen Missbrauch.

Symbolbild Missbrauch / © TetianaDov (shutterstock)

Der Skandal um sexuellen Missbrauch in der Kirche explodierte zuerst in den USA; 2002 in Boston. Knapp acht Jahre später in Deutschland; am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin. Hans Zollner hat den 29. Januar 2010 noch genau vor Augen. Nach diesem Tag ebbten die Medienberichte - anders als in den Jahren davor - nicht wieder ab. "Der Skandal wurde immer größer und größer", erinnert sich der Psychologe und Theologe.

"Mir war klar: Wir müssen etwas tun"

"Immer mehr und immer höhere Zahlen, immer größere Empörung, immer größeres Chaos", so Zollner weiter. Die Deutsche Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden Erzbischof Robert Zollitsch sei überfordert gewesen. "Es gab keinen, der Begriffe und Sachverhalte sortierte. Mir war klar: Wir müssen etwas tun." Wie das "Etwas" aussehen würde, kristallisierte sich in den folgenden Monaten nur allmählich heraus.

An der Päpstlichen Universität Gregoriana, wo der Jesuit Psychologie lehrt, wurde zum einen ein Angebot für kirchliches Führungspersonal organisiert. Damit wollte man Bischöfen und Ordensoberen klarmachen, "wie wichtig es ist, auf Betroffene zu hören. Wir wollten die Schwere der Verbrechen sichtbar machen" und zeigen, welche Bedeutung das Thema für die Kirche und die Theologie hat.

Parallel nahm Zollner als kirchlicher Vertreter am Runden Tisch der Bundesregierung zum Thema Missbrauch teil. Und traf dort auf Jörg Fegert, Psychologe an der Uni Ulm und Experte für Traumata und sexuellen Missbrauch. Fegert stellte in Berlin ein Modellprojekt für e-learning vor, das sein Team im Auftrag des Bundesforschungsministeriums erarbeitet hatte.

Präventionsschulungen an kirchlichen Hochschulen

"Damit, so war mir klar" sagt Zollner, "konnte man weltweit kirchliche Verantwortliche schulen in Sachen Prävention und Intervention." Nach dem OK der Auftraggeberin des Forschungsprojekts, Ministerin Annette Schavan, taten er und Fegert sich zusammen. Geld und Räume kamen vom Erzbistum München, so dass am 1. Januar 2012 das Kinderschutzzentrum dort mit der Arbeit begann. Organisatorisch gehörte das "Center for Child Protection" (CCP) von Beginn an zum Institut für Psychologie der Gregoriana.

Ein gemeinsames Team aus Ulm und Rom erweiterte die bisherigen Lehrmodule um kirchlich relevante Themen und übersetzte sie in vier Sprachen. Für die Startphase gewann man weltweit zehn kirchliche Hochschulen. Diese wiederum warben insgesamt 1.000 Kandidaten an, um sich zu Prävention von sexuellem Missbrauch und Intervention bei Verdachtsfällen schulen zu lassen.

Im Herbst 2014 zog das CCP in die Zentrale der katholischen Weltkirche nach Rom. Seither bietet die Einrichtung halbjährige Diplom- sowie zweijährige Lizenziatskurse für kirchliche Mitarbeiter an. Hinzu kommen Online-Kurse mit rund 70 Partnern weltweit. Zu den Themen gehören verschiedene Formen von Missbrauch, Dialog mit und Begleitung von Betroffenen, Leitlinien und deren Umsetzung in Institutionen, Supervision, Analyse struktureller Schwachpunkte in Einrichtungen und Organisationen.

Auseinandersetzung mit Missbrauch sehr heterogen

Das komplexe Themenspektrum wird einer sehr heterogenen Zielgruppe aus bisher 56 Ländern vermittelt. Ein in Europa wenig beachtetes Problem ist die Ungleichzeitigkeit bei der Auseinandersetzung mit dem Thema. "Ich kann mit Leuten, die aus einem Land kommen, in dem Missbrauch erst langsam zu Bewusstsein kommt, nicht von Null auf Hundert durchstarten", sagt Karolin Kuhn, ehemalige Dozentin am CCP. Im Extremfall könne es für einzelne Absolventen gefährlich werden, wenn sie zurück in ihr Land kommen und mit dem neuen Wissen Skandale ansprechen. Auffassungen zu Sexualität, Autorität oder Generationen- oder Geschlechterverhältnis unterscheiden sich mitunter stark.

Wegen der großen Nachfrage - vor allem auch aus Lateinamerika - führte die Einrichtung Spanisch als zweite Unterrichtssprache neben Englisch ein. Mitten in der Pandemie.

Nach elf Jahren erhält die Frucht der Bemühungen öffentliche Anerkennung durch die deutsche Bundeskanzlerin. Wobei Merkel ihren Besuch bei Zollner und Papst Franziskus gleichzeitig nutzt, um erneut zu appellieren, das Thema Missbrauch umfassend und transparent aufzuarbeiten. Mit dem von ihr selbst gewünschten Besuch habe sie unterstreichen wollen, "dass die Wahrheit ans Licht kommen muss", so Merkel Anfang Oktober.

Themen wurden deutlich erweitert

Im Herbst wurde das Kinderschutzzentrum zu einem eigenständigen Institut für Safeguarding ausgebaut. Der sperrige offizielle Titel lautet "Institute for Athropology. Interdisciplinary Studies for Dignity and Care" (IADC). Gründe für die damit verbundene universitäre Aufwertung und thematische Ausweitung sind laut Zollner neben hochschulrechtlichen und organisatorischen Fragen "die #MeToo-Bewegung, der Fall des früheren Washingtoner Erzbischofs Theodore McCarrick sowie der Papsterlass 'Vos estis lux mundi' zur Rechenschaftspflicht von Kirchenoberen".

Der Missbrauch an Ordensfrauen, die Rede vom spirituellen Missbrauch und dem von Macht haben den thematischen Hintergrund deutlich erweitert. Weil die bisherigen Räumlichkeiten zu klein geworden sind, zieht das IADC bis zum Frühsommer in ein größeres Haus des Jesuitenordens. In der Villa Malta sitzt bereits die Redaktion der Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica". In der hatten Zollner und sein italienischer Kollege Giovanni Cucci 2010 erste systematische Aufsätze zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche veröffentlicht.


Quelle:
KNA
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