Im Norden Malis spitzt sich die Lage weiter zu

Die Angst vor den Islamisten

Es ist die Angst vor islamistischen Gruppen, vor allem aber die katastrophale Versorgungslage: Beides treibt im Norden Malis derzeit viele tausend Menschen in die Flucht. International sorgt nun eine andere Nachricht für für Schlagzeilen.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

Der vor vier Wochen gestürzte Ex-Präsident Amadou Toumani Toure soll mit seiner Familie ins Nachbarland Senegal geflüchtet sein. Unterdessen gibt es auf den Märkten laut Augenzeugenberichten nichts mehr zu kaufen, viele Geschäftsinhaber haben die Türen ihrer Läden verbarrikadiert. Geld in einer Bank abzuheben, ist eine Sache der Unmöglichkeit geworden. Wer kann, versucht die Region zu verlassen und flüchtet beispielsweise ins Nachbarland Mauretanien. Seit Ende Januar sollen etwa 57.000 Menschen das dortige Flüchtlingslager Mbera erreicht haben, berichtet die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen". Seit zwei Wochen kommen den Angaben zufolge täglich zwischen 200 und 1.500 Flüchtlinge an. Auch in andere Nachbarländer sind Zehntausende Menschen geflohen.



Viele treibt nicht nur die prekäre Versorgungssituation in die Flucht, sondern auch die große Unsicherheit darüber, wie sich die Region in den kommenden Wochen entwickeln wird. Nach monatelangen Kämpfen zwischen Regierungsstreitkräften und der Tuareg-Armee MNLA (Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad) hatte diese am 6. April den Staat Azawad ausgerufen. Man wollte von Bamako unabhängig sein. Eine Forderung, die nicht neu ist. Jahrzehntelang hatten sich viele Tuareg von der Zentralregierung ignoriert gefühlt.



Internationale Anerkennung findet Azawad indes nicht. Erst an diesem Freitag verurteilte das Europaparlament in Straßburg den Militärputsch und die andauernde Gewalt in Mali. Auch die Nationalversammlung in Bamako verurteilte die Vorgehensweise der MNLA scharf. Diese, so die Forderung, solle unverzüglich ihre Waffen abgeben und sich aus dem besetzten Gebiet zurückziehen. Mali dürfe auf keinen Fall auseinanderbrechen.



Meist ist es jedoch nicht die MNLA, die den Menschen im Norden Angst macht. Seit Ausrufung des Staates Azawad hat sich gezeigt, dass der Norden schon längst zu einem Sammelbecken radikaler Gruppierungen geworden ist. "Jahrelang hat der Staat nichts dagegen unternommen", kritisiert Hussaini Abdu, der in Nigeria die Organisation "ActionAid" leitet und sich seit Jahren mit der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram befasst. Dabei gibt es schon seit langem die Vermutung, dass AQMI, Al-Kaida im Islamischen Maghreb, in der Region aktiv ist. Möglichweise steckt AQMI auch hinter dem neuesten Entführungsfall: Vergangenen Sonntag soll eine Schweizer Missionarin in Timbuktu von Unbekannten verschleppt worden sein.



Andere Gruppen haben indes offensichtlich sehr erfolgreich im Verborgenen gearbeitet, wozu "Ansar Dine" (Verteidiger des Glaubens) gehört. In der öffentlichen Wahrnehmung tauchte die Gruppe von Iyad Ag Ghaly, der als Tuareg vor gut 20 Jahren schon einmal gegen die Regierungsarmee gekämpft hatte und später als Diplomat nach Saudi Arabien ging, zeitgleich mit dem Ausrufen von Azawad auf. Angsteinflößend ist sie für viele Menschen deshalb, da sie die Scharia einführen und besonders scharf auslegen will. Von Zwangsehen, Verschleierung der Frauen und dem Abhacken der Hand bei Diebstahl sei die Rede, so Soumana Coulibaly, der in Bamako die nichtstaatliche Organisation "Enda Mali", eine Partnerorganisation von Caritas international, leitet.



Das lehnen viele Muslime in Mali vehement ab. Zwischen 80 und 90 Prozent der rund 14 Millionen Einwohner bekennen sich zum Islam, darunter auch die Tuareg. Von einer radikalen Auslegung ihres Glaubens halten die meisten jedoch nichts. Im Gegenteil: Im Kampf für Azawad haben religiöse Motive für die große Mehrheit der Befürworter keine Rolle gespielt. Vielmehr wollten sie sich die Politik von Ex-Präsident Toure nicht mehr bieten lassen.