Ethikratsmitglied Lob-Hüdepohl zum neuen Organspende-Gesetzesentwurf

"Im Sinne der katholischen Kirche"

Ein am Montag vorgelegter fraktionsübergreifender Gesetzentwurf zur Organspende setzt auf freiwillige und bewusste Entscheidung. Zustimmung dazu kommt von Theologe und Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl. 

Eine Organtransportbox  / © Jens Kalaene (dpa)
Eine Organtransportbox / © Jens Kalaene ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der bisherige Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und anderen Abgeordneten, fordert die Einführung einer Widerspruchslösung. Danach gälte grundsätzlich jeder als potenzieller Organspender, es sei denn, er hat dem zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen. Nun gibt es einen neuen Vorschlag von Bundestagsabgeordneten von Union, SPD, Grünen, Linkspartei und FDP. Was beinhaltet dieser neue Entwurf?

Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Theologe, Sozialethiker und Mitglied des Deutschen Ethikrats): Der zweite Gesetzentwurf fordert, dass tatsächlich jeder konfrontiert wird mit der Frage, ob er zustimmen oder ablehnen will. Man nennt diese Lösung auch eine Entscheidungslösung. Und diese Entscheidung soll immer wieder bei ganz bestimmten Besuchen von Behörden oder beim Hausarzt aktiv angesprochen werden. Das ginge über das bislang geltende Recht - nämlich die erweiterte Zustimmungslösung - hinaus. Ich sage das sehr deutlich: Ich begrüße einen solchen Vorstoß, weil er nämlich die Nachteile des Gesetzentwurfs von Herrn Spahn, also die Widerspruchslösung, vermeidet.

DOMRADIO.DE: Welche Nachteile sind das?

Lob-Hüdepohl: Es ist keine freiwillige Zustimmung! Wenn ich über eine postmortale Organspende entscheide, dann entscheide ich ja nicht über einen Zustand, in dem ich ein Leichnam bin. Sondern ich entscheide über die letzte Phase meines Sterbens. Ich bin zwar unwiderruflich dem Tod nahe. Insofern ist das Hirntodkriterium ein ganz wichtiger Indikator. Der wird von mir nicht in Zweifel gezogen. Dennoch bin ich als Gesamtkörper noch nicht tot, sondern ich werde ja noch in Restfunktionen am Leben gehalten. Das ist auch wichtig so, denn das ist die Voraussetzung, dass mir überhaupt Spendenorgane entnommen werden können. Und deshalb muss das eine Frage sein, die ich selber freiwillig ausdrücklich bejahe oder verneine, weil es eine Entscheidung über die letzte Phase meines Sterbens ist und nicht über die Verwendung eines Leichnams.

Das ist der große Unterschied: Die heute gültige Lösung belässt es bei der aktiven freiwilligen Entscheidung des potenziellen Spenders oder der Spenderin. Die Widerspruchslösung stutzt den Freiwilligkeitsmoment zurück auf ein Widersprechen einer Zwangsabgabe. Dann ist es keine Spende mehr sondern eine Zwangsabgabe, der ich widersprechen kann. Darin liegt zwar natürlich auch ein Moment von Freiwilligkeit. Aber ich stimme nicht aktiv ausdrücklich zu, dass so mit mir in der letzten Phase meines Sterbensprozesse verfahren werden kann. Das lehne ich ab.

DOMRADIO.DE: In der deutschen Bevölkerung gibt es aber eine große Mehrheit, die sagt, ich würde Organe spenden, wenn ich denn gefragt werden würde. Ist das nicht eine theoretische Diskussion darüber, an welcher Stelle man jetzt widerspricht oder nicht widerspricht? Wenn man diese Widerspruchsregelung einführen würde, könnte man doch konkret mehr Leben retten, als wenn man auf die Zustimmung oder den Widerspruch wartet, oder nicht?

Lob-Hüdepohl: Das bezweifle ich und das bezweifeln auch ganz viele Experten. Um dieses Problem zu beseitigen, wurde ja schon im Dezember ein Gesetz einmütig beschlossen. Das ist jetzt im März in Kraft getreten. Das sieht nämlich vor, die strukturellen Probleme zu lösen: Es gibt bis heute kein Spenderegister. Es gibt bis heute viel zu wenig Transplantationsbeauftragte in den Kliniken. Die Vergütung für eine Organentnahme ist viel zu gering, als dass es sich für das Krankenhaus tatsächlich rechnen würde. Und es gibt noch weitere strukturelle Defizite, die werden durch dieses schon beschlossene Gesetz in Angriff genommen. Bevor man jetzt mit einer Widerspruchslösung daherkommt, sollte man wenigstens abwarten, ob dieses schon geltende Gesetz entsprechende positive Folgen zeitigt. 

Die dokumentierte Spendenbereitschaft ist groß. Etwa 38 Prozent der Deutschen Bundesbürgerinnen und -bürger haben einen Organspendeausweis, nur der ist nirgends registriert. Das ist das große Problem. Etwa 80 Prozent würden spenden. Nur eine ganz geringe Anzahl von Angehörigen verweigert eine Entnahme. 80 Prozent stimmen der zu, das muss nur dann auch tatsächlich zu Organentnahmen und zur Organtransplantation führen. Das kann nicht durch Freiwilligkeit oder Nicht-Freiwilligkeit, Widerspruch oder Zustimmung gelöst werden. Das muss durch die Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen verändert werden. Da sind wir auf einem guten Weg.

DOMRADIO.DE: Sie sitzen im Deutschen Ethikrat als Theologe, als Vertreter der katholischen Kirche. Wir sind ja als Kirche auch ein bisschen ambivalent bei dem Thema: Bis in die Fünfzigerjahre hinein hieß es, Organspende verletze den Körper, den Gott so geschaffen hat. Seitdem sehen wir es anders. Papst Franziskus hat vor kurzem eine Organspende sogar als ein Geschenk an einen christlichen Mitbruder oder eine -schwester bezeichnet. Was ist da jetzt die richtige Sichtweise als Katholik?

Lob-Hüdepohl: Ich teile die Auffassung von Papst Franziskus. So sehr ich gegen eine Widerspruchslösung bin, halte ich es für eine christliche Pflicht, sich darüber Gedanken zu machen, ob ich nicht als letzten Akt der Solidarität mit anderen ein Organ spende - wenn man so will als letzten Akt der Dankbarkeit gegenüber einer Gesellschaft, der ich mich selbst auch verdanke. Ich lebe ja permanent von der Bereitschaft anderer, mir Solidarität zu leisten. Mein ganzes Leben lang, nicht nur in der Zeugung durch meine Eltern, sondern auch in der Gesellschaft. Und so halte ich es durchaus für eine Christenpflicht, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen und dann auch entsprechend zu spenden. Ich persönlich habe ein Spenderausweis wie viele andere Katholikinnen und Katholiken auch. Insofern bin ich skeptisch, ob man mit dem Verweis, die Integrität des Leibes müsse gewahrt bleiben, theologisch weiterkommt. Das hat man früher so verstanden. Das Bild der leiblichen Aufnahme des Menschen in den Himmel verhinderte die Vorstellung, dass da irgendetwas an dem Leib fehlen darf. Diese Sichtweise hat man auch kirchlicherseits überwunden und das halte ich für richtig.

DOMRADIO.DE: Die deutsche Bischofskonferenz sieht das auch so?

Lob-Hüdepohl: Ich bin nicht der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Ich kann mich nur als Katholik und als Berater der entsprechenden Kommission der Deutschen Bischofskonferenz für meine Meinung stark machen. Ich bin der Auffassung, dass die so genannte wiederkehrende Entscheidungslösung, die heute in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, die Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz finden wird. Ein solcher Schritt ist meiner Meinung nach auch im Sinne der offiziellen katholischen Kirche.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Andreas Lob-Hüdepohl / © Harald Oppitz (KNA)
Andreas Lob-Hüdepohl / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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