Frühere Kölner Dombaumeisterin zum Zustand von Notre-Dame

Immer noch große Einsturzgefahr

Als am Samstag die erste Messe nach dem Brand in der Kathedrale Notre-Dame gefeiert wurde, war die frühere Kölner Dombaumeisterin schon nicht mehr zugegen. Sie konnte sich aber Stunden zuvor ein Bild der Lage machen. Welches genau?

Blick in die Kathedrale Notre-Dame in Paris / © Guillaume Poli (KNA)
Blick in die Kathedrale Notre-Dame in Paris / © Guillaume Poli ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es war ein ungewohnter Anblick als am Wochenende die Bilder vom ersten Gottesdienst in Notre-Dame übertragen wurden. Waren Sie auch dabei?

Prof. Barbara Schock-Werner (Ehemalige Kölner Dombaumeisterin und Koordinatorin der deutschen Hilfen zum Wiederaufbau von Notre-Dame): Am Gottesdienst durften wir nicht teilnehmen. Wir waren am Tag vorher da und wir durften das Gebäude besichtigen. Als der Gottesdienst stattfand, waren wir schon wieder in Köln. Aber es war ein großes Privileg, überhaupt in die Kirche zu dürfen, denn die ist noch weitgehend für Besucher und Presse gesperrt.

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie haben noch vor der Presse die ersten Blicke hineinwerfen können. Was haben Sie da vorgefunden? Wie sieht es aus?

Schock-Werner: Ich war ja schon zum zweiten Mal drin. Das erste Mal mit Staatsministerin Grütters, diesmal mit Ministerpräsident Laschet. Es sieht schon viel besser aus als beim ersten Mal, aber die ganzen Bereiche im Mittelschiff, Querhaus und Chor dürfen noch immer nicht betreten werden. Deshalb wurde der Gottesdienst in einer abgelegenen Kapelle gefeiert. Die Seitenschiffe und der Kapellenkranz waren nie gefährdet, weil es da nicht brannte. Aber im Mittelschiff liegt immer noch ein großer, schwarzer Haufen verkohlter Balken, heruntergebrochene Gewölbesteine und geschmolzenes Blei.

DOMRADIO.DE: Es heißt, dass es immer noch stark einsturzgefährdet sei?

Schock-Werner: Ja, der leitende Architekt Philippe Villeneuve hat starke Angst und Bedenken - meiner Meinung nach zurecht -, dass die anderen Gewölbe noch einstürzen könnten. Noch liegen auf ihnen die tonnenschweren schwarzen Balken. Man geht ja noch gar nicht von oben heran. Das verbrannte Gerüst steht ja auch noch oben sichtbar.

Er hat Angst, dass, wenn man anfängt es abzuheben und es Bewegungen gibt, dann die Gewölbe einstürzen, die ja auch durch die große Hitze sicher nicht mehr so tragfähig sind. Jetzt will man versuchen, durch aufgelegte massive Holzleimbinder die Wände zu stabilisieren. Die schwere Last des Dachstuhls stabilisierte auch die Wände. Und das wird jetzt vorübergehend mit großen Leimbindern gemacht. Man kann nur hoffen, dass die Gewölbe das halten. Aber selbst wenn sie jetzt nicht einstürzen, ist noch nicht gesichert, dass man sie nicht dennoch tauschen muss, weil sie einfach zu sehr an Tragkraft verloren haben.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie für einen Eindruck, wie die Arbeit vor Ort koordiniert wird?

Schock-Werner: Das läuft alles vorzüglich. Was in den fünf Wochen zwischen meinen beiden Besuchen geschehen ist, ist sehr eindrucksvoll. Man räumt diesen Innenraum mit ferngesteuerten kleinen Baggern, weil da ja keiner rein darf, und vor dem Gebäude steht ein großes Zelt, wo die gefundenen Dinge deponiert werden, um sie zu untersuchen, eventuell auch, ob man sie wieder verwenden kann.

Aber der Dachstuhl und die Gewölbe sind nur ein Teil des Problems. Das andere ist, dass, selbst wenn das Gebäude wieder heil ist, eigentlich alles, was drin ist, restauriert werden muss. Das Chorgestühl von dem berühmten Architekten Robert de Cottte um 1700 entworfen, ist völlig durchnässt und verrußt. Der Architekt hat Angst, dass der Schimmelbefall kommt. Aber noch kann man da nicht dran. Ähnliches gilt für die Kanzel. Völlig verrußt ist auch die Orgel und der Innenraum als Ganzes. Der muss gesäubert werden. Selbst wenn das Dach vielleicht in fünf Jahren drauf ist, wird man noch lange an und in dieser Kirche arbeiten müssen.

DOMRADIO.DE: Auch in Deutschland haben viele Menschen, Institutionen und Organisationen Geld gespendet. Sie sind Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Notre-Dame-Hilfe. Konnten Sie sich da auch einen Überblick verschaffen, wie die Situation da ist?

Schock-Werner: Ich weiß nur, dass etliche Hunderttausend Euro schon allein aus Nordrhein-Westfalen zusammengekommen sind. Ich habe dem Ministerpräsidenten Laschet auch geraten, dass wir das Geld sozusagen noch etwas horten, wenn sich dann langsam herausstellt, was im Detail für ein bestimmtes Projekt gemacht werden muss. Also nicht einfach in den großen Topf zu werfen, sondern Nordrhein-Westfalen bezahlt zum Beispiel die Restaurierung des Chorgestühls.

DOMRADIO.DE: Wann wird der nächste Gottesdienst in Notre Dame stattfinden? War das eher ein symbolischer Akt?

Schock-Werner: Das war eher ein symbolischer Akt. Wie gesagt, in Kapellen kann man rein, aber selbst das ist nicht ungefährlich. Alle begehbaren Flächen, also Seitenschiffe, Chor, Kapellenkranz und Chorumgang werden jeden Tag mit schweren Staubsaugern gesaugt, um den bleihaltigen Staub der Luft zu reduzieren. Man darf nicht so oft hinein, sonst ist die Gefahr einer Bleivergiftung ziemlich groß. Auch deshalb ist die Kirche noch weitgehend gesperrt.

DOMRADIO.DE: Wann wird Ihr nächster Besuch in Paris sein?

Schock-Werner: Ich hoffe im September, da haben wir Dombaumeister-Tagungen und ich hoffe, dass ich vorher noch mal rein darf und dann den Kollegen - diesmal in Basel - berichte, wie das in Paris vorwärts geht. Aber bevor man wirklich darin arbeiten kann, wird das noch eine Weile dauern.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Architektin Barbara Schock-Werner / © Julia Steinbrecht (KNA)
Architektin Barbara Schock-Werner / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Erzbischof Michel Aupetit (m.) auf dem Weg zur ersten Messe in der Kathedrale Notre-Dame nach dem Brand / © Guillaume Poli (KNA)
Erzbischof Michel Aupetit (m.) auf dem Weg zur ersten Messe in der Kathedrale Notre-Dame nach dem Brand / © Guillaume Poli ( KNA )

Während der ersten Messe nach dem Brand vor zwei Monaten mussten alle Teilnehmer aus Sicherheitsgründen Schutzhelme tragen / © Guillaume Poli (KNA)
Während der ersten Messe nach dem Brand vor zwei Monaten mussten alle Teilnehmer aus Sicherheitsgründen Schutzhelme tragen / © Guillaume Poli ( KNA )
Quelle:
DR