Industrieseelsorger hat offenes Ohr für VW-Mitarbeitende

"Ich habe kein Rundum-Sorglos-Programm"

Sparkurs, betriebsbedingte Kündigungen, mögliche Werksschließungen: Der VW-Konzern steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Der Pfarrer und Industrieseelsorger Dirk Wagner versucht auf die Nöte der Beschäftigten einzugehen.

Blick auf das VW-Werk Kassel in Baunatal / © Uwe Zucchi (dpa)
Blick auf das VW-Werk Kassel in Baunatal / © Uwe Zucchi ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie stehen der Belegschaft des Automobilkonzerns Volkswagen als Ratgeber zur Seite. Sie bieten ein offenes Ohr. Wie groß sind die persönlichen Sorgen der VW-Beschäftigten? 

Dirk Wagner (Evangelischer Pfarrer und Industrieseelsorger in Wolfsburg): Ich glaube, es hängt davon ab, wie lange jemand schon im Betrieb ist, was für eine Stellung und welche Aufgaben er innerhalb des VW-Konzerns hat, aber auch wie seine persönliche Lebenslage ist. 

Wenn jemand zum Beispiel Schulden hat, sich gerade erst ein Haus gekauft hat und darauf Kredite abzuzahlen sind, macht die gegenwärtige Situation natürlich schon Sorgen, weil man sich gewissermaßen auf das, was man jetzt an Einkünften hat, eingerichtet hat. Wenn da Einbußen zu befürchten sind, macht das extreme Sorgen, je nach Lebenslage. 

DOMRADIO.DE: Heißt das im Umkehrschluss, dass andere mit der aktuellen Situation ein bisschen abgeklärter umgehen? 

Wagner: Ich denke ja. Das sind Leute, die schon lange im Betrieb sind und ein bisschen mehr Erfahrung haben, also einen weiteren Rückblick auf das, was so alles passiert ist. Man kann fast sagen, alle sieben, acht Jahre kommt eine Krise.

Der Abgasskandal war vor ungefähr acht, neun Jahren, davor die Finanzkrise und noch einige andere Geschichten. Letzten Endes ist das immer so ein Engpass, wo auch Ängste mobilisiert werden. 

Gut, es kommt auch immer wieder zu Einschnitten und drastischen Maßnahmen. Aber die Älteren, die sehen das etwas gelassener. Die sagen, das kennen wir irgendwie und wir kommen immer wieder raus aus der Krise. Es ist im Einzelfall schwierig zu beurteilen. 

DOMRADIO.DE: Sie persönlich bieten ein offenes Ohr, Sie wollen Mut machen, Sie wollen Hoffnung geben. Dafür steht auch die Kirche. Reicht das den Mitarbeitern als Input? 

Dirk Wagner

"Ich habe kein Rundum-Sorglos-Programm für die Leute".

Wagner: Ich habe kein Rundum-Sorglos-Programm für die Leute, das muss man schon sagen. Das, was ich bieten kann, ist in der Regel in Einzelfällen Hilfestellung leisten, den Leuten zuzuhören, dass sie sich den Ärger, den Frust von der Seele reden können. Man ist ein Gesprächspartner, ein Austauschpartner, ein Sparringspartner für eine Selbstreflexion. 

Jeder muss seine Situation überdenken. Die habe ich nie voll im Blick. Das ist immer individuell verschieden, was den Einzelnen bewegt. Meistens hängen noch ganz andere Sachen mit dran als nur der Betrieb. 

Dafür bin ich da, und das ist das Wichtigste. Man kann im Gespräch versuchen, den Leuten in die Spur zu helfen, indem man zu dieser Selbstreflexion anregt, bestimmte Fragen stellt. Im Grunde genommen muss jeder wieder selber als Mensch ins Handeln kommen. 

DOMRADIO.DE: Inwieweit spielt auch der Glaube an Gott bei diesen Gesprächen eine Rolle? 

Dirk Wagner

"Ich denke, dass der Glaube, die Spiritualität, das Gebet für den Einzelnen auch eine Chance, eine Hilfe ist."

Wagner: Ich denke, dass der Glaube, die Spiritualität, das Gebet für den Einzelnen auch eine Chance, eine Hilfe ist. Ich versuche mich zunächst erst mal völlig neutral aufzustellen. Jeder kann kommen, ganz egal, welchen Glauben, welchen Hintergrund er hat. Da stelle ich keine peinlichen Fragen nach der Konfession oder ähnliches. Das wäre jetzt überhaupt nicht mein Fokus. 

Dirk Wagner

"Die Bibel bietet eine ganze Menge an Hoffnungsprogrammatik und an guten Geschichten an, die mitunter aus ausweglosen Situationen Wegweisung geben können".

Im Einzelfall kann man gucken, wo derjenige steht, wo man ihm helfen kann, vielleicht auch mit einem Bibelwort. Die Bibel bietet eine ganze Menge an Hoffnungsprogrammatik und an guten Geschichten an, die mitunter aus ausweglosen Situationen Wegweisung geben können. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie Hoffnung, dass die VW-Mitarbeiter bald wieder optimistischer nach vorne schauen können?

Wagner: Das will ich hoffen. Ich habe letzten Endes gar keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation. Es müssen sicherlich einige Veränderungen im Betrieb passieren, ich glaube auf allen Seiten. 

Wenn die Arbeit Spaß macht, wenn man Visionen für die Zukunft hat, wenn man nach vorne will, wenn man etwas entwickeln will, gewinnt man Freude an der Arbeit. Wenn es im Team gelingt, wenn es sozusagen "fluppt", wenn ein "Flow" da ist, dann macht die Arbeit Spaß. Das bringt ein Unternehmen nach vorne. 

In dieser Hinsicht möchte ich die Leute bestärken und ihnen vielleicht mitunter ganz gute Werkzeuge an die Hand geben, wie sie in ihrer Selbstorganisation - unter anderen in Teams - vorankommen kann. Aber wie gesagt, ich kann nicht den ganzen Betrieb umkrempeln.

Das Interview führte Carsten Döpp.

 

Quelle:
DR