Ein Disput bei einem Flüchtlingsgipfel im vergangenen Jahr im Kanzleramt hatte den Ausschlag gegeben: Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatten beim Thema kulturelle Integration unterschiedliche Ansichten. Es entstand die Idee, darüber in einem größeren Zusammenhang zu diskutieren. Zimmermann schaffte es, innerhalb kurzer Zeit 28 Gruppen aus Politik und Gesellschaft zu mobilisieren. Deren Vertreter stellten am Dienstag in Berlin "15 Thesen für Zusammenhalt in Vielfalt" vor.
Zu dem Kreis gehören auch die Kirchen, der Koordinationsrat der Muslime, der Zentralrat der Juden sowie Gewerkschaften. Außerdem sind Vertreter aus dem Innen- und Arbeitsministerium, die Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), dabei.
Begriff "verbrannt"
Bereits beim ersten Treffen im vergangenen Dezember einigten sich die Beteiligten darauf, den Begriff "Leitkultur" nicht zu verwenden. Dieser Begriff sei politisch "verbrannt", er spalte statt zusammenzuführen, so Zimmermann. Wie von Beteiligten zu erfahren war, staunten offenbar auch die Vertreter des Innenministeriums nicht schlecht, als de Maiziere dann vor rund zwei Wochen seine Thesen präsentierte - überschrieben eben mit jenem Begriff.
Am Dienstag ging der Minister nun nochmals in die Offensive: Er benutze den Begriff gerne, beharre aber auch nicht darauf. Man könne alternativ sicher auch sagen, "Richtschnur des Zusammenlebens in Deutschland, aber auch Leitbild". Warum nun ausgerechnet die "Leitkultur" auf derartige Ablehnung stoße, sei ihm auch nicht wirklich klar.
"Keine neuen Schlagzeilen produzieren"
Dabei prägt der Begriff nicht zum ersten Mal die politische Diskussion in Deutschland: Bereits im Jahr 2000 hatte der damalige Fraktionsvorsitzende der Union, Friedrich Merz (CDU), sich für eine freiheitlich demokratische Leitkultur ausgesprochen und eine entsprechende Änderung des Einwanderungsrechts gefordert. Demnach sollte Deutschland pro Jahr nicht mehr als 200.000 Ausländer aufnehmen.
Auch Zimmermann ging in seinem Beitrag noch einmal indirekt auf die Auseinandersetzung mit dem Minister ein: Man wolle mit den Thesen eine ernsthafte Debatte anstoßen und "keine neuen Schlagzeilen produzieren, die der Initiative letztlich zuwider läuft". De Maiziere, der im Anschluss sprach, bekräftigte, dass im Zusammenhang mit Zuwanderung Liberalität nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden dürfe. Manches "wollen wir nicht tolerieren", so brachte er seine Ansicht auf den Punkt.
Religion im öffentlichen Raum
Dabei unterschied sich der Zehn-Punkte-Katalog de Maizieres nicht wesentlich von den zentralen Anliegen der Initiative: Als Grundlage für die Thesen berufen sich die Unterzeichner auf das Grundgesetz. Sie halten fest, dass ihrer Auffassung nach Religion auch in den öffentlichen Raum gehört und die deutsche Sprache Schlüssel zur Teilhabe sei. Dies werde viel "fordernder" vorgebracht, als er es sich je getraut hätte, kommentierte de Maiziere mit einem Schmunzeln.
Die jetzt veröffentlichten "Thesen für Zusammenhalt und Vielfalt" verweisen darüber hinaus auf die Geschlechtergerechtigkeit, die "ein Eckpfeiler unseres Zusammenlebens" bilde und darauf, dass demokratische Debatten- und Streitkultur die Meinungsbildung in einer pluralistischen Gesellschaft stärke und Einwanderung zur deutschen Geschichte gehöre.
Bereits im Vorfeld hatte Zimmermann anklingen lassen, dass er bei de Maizieres Thesen diese Punkte vermisse. So spreche der Minister zu wenig von den Rechten, die der Einzelne gegenüber dem Staat habe, oder von der Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements. Schlichtend hatte sich bereits im Vorfeld der Hamburger Erzbischofs Stefan Heße geäußert: Er hänge "überhaupt nicht" am Begriff Leitkultur. "Mir ist wichtig, dass wir über das, was unser Land zusammenhält, im Gespräch sind".
Alle Beteiligten bekundeten dann auch, dass die Veranstaltung erst ein Auftakt für eine breit angelegte Debatte sein könne. Online können sich schon jetzt alle Interessierten mit den Thesen auseinandersetzen. Und bereits am Nachmittag übergaben die Unterzeichner die Thesen an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).