Installation in Kasseler Elisabethkirche ist Publikumsmagnet

Eine Oase im documenta-Trubel

Die Installation "Poem of Pearls" von Birthe Blauth verwandelt die katholische Elisabethkirche in Kassel zu einer Oase der Stille und des Dialogs. Für die Gottesdienste in der Kirche ist sie eine kreative Herausforderung.

Autor/in:
Birgitt Schippers
Besucher der Installation in St. Elisabeth
Besucher der Installation in St. Elisabeth

Vor der Elisabethkirche stoppt ein aufgemaltes Labyrinth der Künstlerin Birthe Blauth den schnellen Lauf der documenta-Besucher. Der Gang über die verschlungenen Wege bis zum Ende mündet in einer Sackgasse. Ob wir darüber hinweggehen oder zum Anfang zurücklaufen – auf jeden Fall sind wir im Hier und Jetzt angekommen und bereit, den Weg ins Kircheninnere anzutreten, wo uns Birthe Blauths Installation "Poem of Pearls" erwartet. Ein dichter schwarzer Vorhang im Vorraum der Kirche ist das Eingangstor. Wer durch den Vorhang schlüpfen will, muss vorher die Schuhe ausziehen. Doch dann eröffnet sich den Besucherinnen und Besucher ein Kirchenraum, der etwas mit einem macht.

Aufgemaltes Labyrinth der Künstlerin Birthe Blauth vor der St. Elisabethkirche auf der documenta in Kassel  / © Birgitt Schippers (DR)
Aufgemaltes Labyrinth der Künstlerin Birthe Blauth vor der St. Elisabethkirche auf der documenta in Kassel / © Birgitt Schippers ( DR )

Über den gesamtem Kirchenboden liegt ein schöner, hochwertiger Kunstrasen. Nur der leicht erhöhte Altarraum ist ausgespart. Stühle oder Sitzgelegenheiten gibt es keine. In der Mitte steht eine anthrazitfarbene Feuerschale, in der echte Perlen durch dezente Deckenleuchten magisch schimmern. Alle Besucher sind frei, sich auf dem Rasen zu bewegen, sich hinzusetzen oder zu -legen. "Ein symbolischer Paradiesgarten, um die Seele baumeln zu lassen", sagt Birthe Blauth.

Sehnsucht nach dem Paradies

Die Sehnsucht nach dem Paradies haben viele Menschen, sagt Birthe Blauth, obwohl es real nicht existiert. Aber das Paradies ist ein fiktiver Ort, in den wir viel hineinprojizieren. In diesem vom Trubel der Stadt und der documenta abgeschirmten Raum finden Besucher und Besucherinnen eine Oase der Ruhe, um zu sich zu kommen und über Gott und die Welt nachzudenken. Schon jetzt ist diese Ausstellung ein Publikumsrenner.

Und tatsächlich – nach und nach beginnen sich Besucher und Besucherinnen während ihres Rasenspaziergangs zu entspannen, setzen sich oder legen sich hin. Eine paradiesische Ruhe liegt über dem Raum. Und wer eine ganz feine Nase hat, wird einen feinen Hauch von Meeresduft wahrnehmen, ein zarter Hinweis auf den Lebensraum Meer und die Perlen.

Feuerschale mit Perlen

In vielen Geschichten aus alten Zeiten ist die Perle ein Symbol für die Seele, hat Birthe Blauth herausgefunden. Das findet sie sehr schön, denn "jede Perle ist individuell geformt und gleich viel wert". Es gibt auch religiöse Bezüge. Nach einer alten Überlieferung steht die Perlmuschel für Maria und die Perle für Jesus. Alle Besucher der Elisabethkirche können sich eine Perle mitnehmen und mit ihr die persönliche Erinnerung an die Ausstellung.

Die Künstlerin Birthe Blauth in St. Elisabeth / © Birgitt Schippers (DR)
Die Künstlerin Birthe Blauth in St. Elisabeth / © Birgitt Schippers ( DR )

Vielleicht nehmen sie mit der Perle ihre Gedanken und Fragen mit. Es gibt aber auch die Möglichkeit, vor Ort in einem leisen Gespräch mit bereit stehenden Kirchenleuten Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. 

Stichwort documenta

Die documenta ist eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihen zeitgenössischer Kunst. Alle fünf Jahre kommen Kunstschaffende ins nordhessische Kassel, um die Stadt 100 Tage lang in ein Panorama für Gegenwartskunst zu verwandeln. Die Ausstellung ist seit ihrer Gründung 1955 zum wichtigen Ort für Debatten über Kunst und Kultur geworden.

Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi (dpa)
Eine kompostierbare Toilette steht zur documenta fifteen in der Karlsaue und ist Teil der Zusammenarbeit der Gruppe Cinema Caravan mit Takashi Kuribayashi. Die Weltkunstausstellung geht vom 18.06. bis 25.09.2022. / © Uwe Zucchi ( dpa )

Diese Installation fasziniert Menschen aus allen Kulturen, so die Erfahrung der Ausstellungsmacher. Sogar Jugendliche, die diese Installation besuchen, kommen zur Ruhe, auch wenn einige von ihnen zunächst Probleme haben, die Schuhe auszuziehen, weiß Birthe Blauth. Selbst Kinder nehmen das Angebot der Stille ernst, freuen sich aber auch, auf dem Rasen einmal einen Purzelbaum schlagen zu dürfen.

Kreative Herausforderung für die Kirche

Bei der Eröffnung der Ausstellung "Poem of Pearls" feierte der Fuldaer Bischof Dr. Michael Gerber eine musikalische Andacht in der Elisabethkirche – anders als gewohnt. Zur Überraschung vieler saß Bischof Gerber während der Musikbeiträge auch einmal im hinteren Kirchenraum auf dem Rasen.

Für das Gottesdienst-Team der Elisabethkirche ist die Installation eine Herausforderung. "Es hat uns fast überrascht, dass der Raum alle Routinen über den Haufen wirft", weiß Christoph Baumanns, Projektleiter der Ausstellung, "alle, die die Gottesdienste gestalten, müssen sich etwas überlegen." Das fängt mit der Frage an, welche Wege gehen wir ohne Kirchengestühl, wo treffen wir uns mit den Gottesdienstbesuchern oder wo hat der Priester seinen Platz. Und so kommt es vor, dass Priester mit ihrer Gemeinde während eines Gottesdienstes für eine Zeit der Stille auf dem Rasen liegen.

Der Bischof von Fulda stehe voll und ganz hinter dem Kunstprojekt von Birthe Blauth, sagt Dr. Peter Züricher, Persönlicher Referent des Bischofs, denn Künstler und Künstlerinnen brechen auf, was selbstverständlich erscheint. Für die Kirche ein spannender Prozess, von dem sie viel lernen kann.

Quelle:
DR
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