DOMRADIO.DE: Die Kita Irenicus in Pforzheim steht seit zwei Jahren in einem interreligiös geprägten Stadtteil. Deswegen gibt es auch verschiedene Träger. Sie vertreten die Diakonie. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, diese Kita aufzubauen?
Sabine Ghafoor-Zadeh (Diakonie Pforzheim): Eigentlich kam aus dem Gemeinderat der Vorschlag, eine muslimische Kita in Pforzheim zu errichten. Dann haben sich der evangelische Träger und andere zusammengeschlossen und gesagt: Wir können doch auch eine interreligiöse Kita errichten. Das passt in die Stadt.
Das war dann ein längerer Prozess, wo Leitlinien erarbeitet wurden zwischen jüdischer Gemeinde, jesidischer Gemeinde - die in Pforzheim sehr stark vertreten ist - evanglischer Kirchengemeinde, katholischer Kirchengemeinde und Bündnis der Freien Muslime hier im Enzkreis.
DOMRADIO.DE: Die meisten der Kita-Kinder sind Muslime, dann kommen Jesiden und katholische, evangelische und orthodoxe Christen, außerdem Konfessionslose. So eine Mischung sorgt im Leben der Erwachsenen für dramatische Konflikte. Wie ist es bei Ihnen?
Ghafoor-Zadeh: Gott sei Dank nicht. Ich kenne das aus meiner eigenen Biografie als Erzieherin. Kinder sind ja zunächst einmal vorurteilsfrei, offen und neugierig. Diese Unterschiede machen sie zunächst mal nicht. Das heißt, es ist auch eine Lebenserfahrung, die sie machen. Und wir hoffen natürlich, dass wir dieses offene Fenster im Vorschulalter nutzen können, damit die Kinder sich das erhalten, damit sie gestärkt werden in dieser offenen, neugierigen Haltung: Wie gehe ich auf andere zu, die sich unterscheiden - manchmal in der Haarfarbe, in der Hautfarbe, in der Religion. Das ist der Grundgedanke.
DOMRADIO.DE: Machen wir es mal ganz konkret: Ein Muslim, eine Jesidin lernt bei Ihnen auch, dass Weihnachten das Fest der Geburt ist. Und katholische Kinder wissen Bescheid über den Ramadan.
Ghafoor-Zadeh: So könnte man das zusammenfassen. Das alles findet einfach statt. Es ist zunächst einmal eine ganz normale Kita, wo übliche Strukturen vorhanden sind. Da finden Morgenkreise statt. Es gibt ein offenes Angebot mit Bilderbüchern. Und da beziehen wir natürlich alle Religionen mit ein, da können die Kinder drauf zugreifen, da erkennen sie ihre Religion wieder. Wir haben Symbole, wo sie ihre Religion wiedererkennen.
Und zu jetziger Zeit feiern wir Weihnachten und Advent. Das wird nicht so stark betont wie in einer evangelischen oder katholischen Kita. Sonst würde das Überhand nehmen. Das ist ja sowieso am meisten präsent. Sondern es finden parallel eben auch noch andere Dinge statt. Es gibt ein jesidisches Fest, das demnächst stattfindet. Das ist auch präsent und wird dann auch unterstützt durch die Erzieherinnen, weil unser Team eben auch multi-religiös ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt sicher auch Kita-Feste mit Eltern und Geschwistern. Gibt es da nicht auch Berührungsängste unter den Kindern oder spätestens dann bei den Eltern?
Ghafoor-Zadeh: Also wir stellen das nicht fest. Wir werden wissenschaftlich begleitet und auch in diesen Interviews wird immer wieder nachgefragt. Wir sehen es nicht. Ob das natürlich vielleicht irgendwo in der Familie stattfindet, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber in der Kita sind Berührungsängste nicht sichtbar - eher Offenheit und Neugierde, würde ich sagen.
DOMRADIO.DE: Auch das Judentum spielt in der interreligiösen Kita eine Rolle, wenn es auch keine jüdischen Kinder gibt. Die brauchen vermutlich auch koscheres Essen.
Ghafoor-Zadeh: Wir haben uns gleich bei der Planung der Kita darauf geeinigt, dass wir vegetarisches Essen anbieten, damit die Frage von koscher oder halal keine Rolle spielt. Das wollten die Gesellschafter so. Sie haben gesagt, es ist kein Thema, das sie bearbeiten wollen.
DOMRADIO.DE: Wir haben eben schon kurz die Konflikte der Weltreligionen angesprochen. Und gerade in der Weihnachtszeit dreht sich alles um den Frieden. Glauben Sie, dass Kitas wie Irenicus zu mehr Weltfrieden beitragen können?
Ghafoor-Zadeh: Ja, das wünschen wir uns natürlich. Wir sind ja hier regional in Pforzheim verortet. Pforzheim ist einfach eine sehr multireligiöse Stadt. Und ich glaube, allein die Tatsache, dass wir das möglich machen, dass wir es sichtbar machen, wie Kinder damit umgehen, kann schon etwas bewirken.
Ich war eingeladen zu der Segensfeier, die wir im Sommer zum Abschied für unsere Schulanfänger hatten, als drei Geistliche - aus der jesidischen Gemeinde, aus der muslimischen Gemeinde und unsere evangelische Dekanin - den Kindern den Segen zugesprochen haben. Bei der Veranstaltung waren dann auch Eltern mit dabei und ich habe es einfach gesehen, dieses: Wir werden gesehen, wir sind da, wir sind gleichberechtigt. Wir müssen uns nicht verstecken. Ich habe Stolz und Freude gesehen bei den Eltern. Und ich war schon stolz darauf, dass wir diesen Rahmen schaffen können. Das ist in anderen Kitas nicht möglich.
Das Ganze ist einfach auch ein Experiment. Wir lernen viel dazu. Wir brauchen auch viel Unterstützung. Wir haben einen Beirat, der multi-religiös ist, der uns auch inhaltlich unterstützt. Religion zu pflegen und im multireligiösen Kontext nicht eine Religion herauszustellen als die geltende - diese Möglichkeit zu haben, ist, glaube ich, einmalig.
Das Interview führte Katharina Geiger.