Innerhalb von nur vier Stunden am Samstagabend muss Papst Franziskus sich quasi Hölle und Himmel anhören. Eineinhalb Stunden lang spricht er mit acht Überlebenden von Missbrauch und Misshandlung in Irlands Kirche. Später im Croke-Park-Stadion erzählen ihm Familien aus fünf Ländern begeistert von ihren Freuden und Leiden. Und wie sie letztere erfolgreich meistern. Wie geht das zusammen?
Missbrauchsskandale überschatten Treffen
Anlass der Irland-Reise des Papstes ist das neunte Weltfamilientreffen. Überschattet wird der Besuch aber vom Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche - nicht nur medial.
Irlands Staatspräsident Michael Higgins, Premierminister Leo Varadkar sowie mehrere Bischöfe des Landes sprachen das Thema vor und zu Beginn der Reise öffentlich an. Und sie erwarteten Konkretes.
Varadkar forderte den Papst auf, "Amt und Einfluss zu nutzen", um eine echte Aufarbeitung und Wiedergutmachung in Irland und weltweit sicherzustellen.
Enttäuschende Papstrede vor Politikern
In dieser Hinsicht enttäuscht Franziskus' Rede vor Politikern, Diplomaten und anderen Gesellschaftsvertretern am Samstagvormittag allerdings. "Nichts Neues", befand nicht nur Marie Collins, prominentes Opfer von Missbrauch in Irlands Kirche. Anders fielen die Reaktionen nach dem erwarteten Gespräch mit Opfern in der Nuntiatur aus.
Überlebende der berüchtigten "Mother and Baby Homes" äußern sich anschließend zufrieden. "Ein sehr starkes Treffen; er hat uns wirklich interessiert zugehört", sagt Clodagh Malone, die in einem dieser Heime "für gefallene Mädchen" zur Welt kam, ihrer Mutter weggenommen und im Alter von zehn Wochen zwangsadoptiert wurde. Marie Collins, die bei dem Gespräch in der Nuntiatur ebenfalls dabei war, sagt anschließend, der Papst habe aber auch bestätigt, er plane keine weiteren rechtlichen Regelungen. Die bestehenden genügten.
Irische Seele bis ins Mark getroffen
Die Menschen in Irland sind von Missbrauch, Misshandlung und Vertuschung durch Kleriker auch deshalb so getroffen, weil die katholische Kirche über fast 500 Jahre englisch-protestantischer Besatzung irische Identität sicherte. Die Enthüllungen zu Missbrauch und Vertuschung - auch im Vatikan - trafen die irische Seele bis ins Mark. Den Gesichtern und den wütenden, oft brüchigen Stimmen der Opfer, die davon erzählen, ist all das anzumerken.
Im Marienwallfahrtsort Knock betet der Papst mit 45.000 Gläubigen in einer Schweigeminute, unterbrochen nur durch Glockenschläge, für "alle Opfer und Überlebenden von Missbrauch". Knock liegt im Erzbistum Tuam. Die Kleinstadt geriet international in die Schlagzeilen, als 2014 dort anonyme Massengräber mit Kinderknochen gefunden wurden - auf dem Gelände eines der zehn ehemaligen Mutter-und-Kind-Heime Irlands. In diesen waren insgesamt rund 35.000 ledige Mütter untergebracht. Sie mussten dort zum Teil Zwangsarbeit verrichten und wurden von ihren Kindern getrennt, die wiederum zur Adoption freigegeben wurden.
Es ist auch dieser geschichtliche Hintergrund, vor dem am Samstagabend in Irlands größtem Stadion mit knapp 80.000 Menschen das farbenfrohe, lautstarke Familienfestival stattfindet: Tanz, Musik, Gesang und etliche hoffnungsvolle Statements. Franziskus genießt sichtlich die Feier, die sich bis in den späten Abend zieht. Nach rund drei Stunden Programm erweitert er seine ohnehin ausführliche Rede über Schönheit und Herausforderungen des Familienlebens um etliche spontane Einlassungen.
Schuldbekenntnis der Abschlussmesse
Das Treffen in Dublin trägt den Titel "Das Evangelium von der Familie - Freude für die Welt". In den Gesprächen, Workshops und Reden dieser Tage geht es um unterschiedlichste Erfahrungen realer Familien; oft zitierte Grundlage ist "Amoris laetitia". Mit seinem Schreiben über Ehe und Familie will Franziskus christliche Ideale lebensnah vermitteln und lebbar machen.
Wer früher solchen Idealen der Kirche nicht entsprach - nicht nur, weil er anders dachte - sondern auch, weil er nicht aufgeklärt wurde, unmündig gehalten, gar missbraucht wurde oder einfach nur Pech im Leben hatte, für den gab es schlimme Konsequenzen. Irland kann Tausende solcher Schicksale erzählen.
Das Weltfamilientreffen ist der Versuch, in einer Gesellschaft, die über Sex, Ehe, Familie und Autorität heute oft anders denkt als die Kirche, weiterhin für katholische Ideale zu werben. Ohne jene zu verdammen, die anders denken. Dass die Kirche dies tut, ist unter anderem den Stimmen jener Opfer zu verdanken, deren "Schrei stärker war als die Maßnahmen all derer, die versucht haben, ihn totzuschweigen", wie Franziskus in einem Brief am vergangenen Montag schrieb.
Und so benennt der Papst im Schuldbekenntnis der Abschlussmesse so ausführlich wie nie das Versagen der Kirche. Er bittet um Vergebung für Missbrauch, Misshandlung und Vertuschung. Dazu hatten ihn die Überlebenden, mit denen er am Samstagabend sprach, aufgefordert - er könne damit "ein kleines Wunder" bewirken.