domradio.de: Sehen Sie die Gefahr, dass die aufgeputschten Anhänger der Regierungspartei Erdogans, der AKP, auch in Deutschland für Unfrieden sorgen?
Dr. Thomas Lemmen (Islamexperte und Referent für Interreligiösen Dialog beim Erzbistum Köln): Es ist wichtig, dass die Türkei in dieser schweren Situation Rechtsstaatlichkeit beweist, indem sie mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgeht. Die Strafverfahren gegen Straftäter ist dabei ein Aspekt. Aber so manche Maßnahme, von der jetzt die Rede ist, lässt Zweifel aufkommen. Was die Türkei in diesen Bereichen tut und was Erdogan sagt, hat natürlich auch Auswirkungen auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland. Da sind nun auch bereits erste Spannungen spürbar, weil sowohl Erdogan-Gegner als auch Befürworter unter den Türken in Deutschland leben.
domradio.de: Wie erleben Sie das bei Ihren muslimischen Gesprächspartnern? Sie sind ja mit vielen Muslimen in Kontakt. Machen die sich auch Sorgen. Stehen sie eher auf Erdogans Seite oder ist das unterschiedlich?
Lemmen: Das mag ich im Moment gar nicht so sagen. Ich stelle fest, dass sich derzeit alle große Sorgen machen. Sie fragen sich, was weiter passieren wird. Welchen Weg wird die Türkei nun einschlagen? Wird es stabiler oder wird die Situation destabilisiert? Darüber machen sich viele Gedanken und haben große Sorge, ohne überhaupt weiter nach Gründen oder Motiven zu fragen. Die persönliche Sorge meiner Gesprächspartner ist sehr stark ausgeprägt.
domradio.de: Hat sich in diesen letzten Monaten, in denen Erdogan immer mehr Macht an sich reißt, der interreligiöse Dialog mit den Muslimen schon verändert?
Lemmen: Man muss, was die Frage der Rechtsstaatlichkeit angeht, dafür Sorge tragen, dass die Probleme aus der Türkei nicht nach Deutschland hineingetragen werden. Es sind Probleme, die auf demokratischem Weg gelöst werden müssen. Es gibt diese Gruppen auch in Deutschland und da merkt man schon, dass es da auch Kontaktverbote oder Kontaktsperren zueinander gibt, um nicht miteinander zu reden. Was kann der interreligiöse Dialog in der Situation tun? Nun, der Putschversuch hat nichts mit dem interreligiösen Dialog zu tun gehabt, aber da wird Religion instrumentalisiert.
Der Dialog kann dazu beitragen, aus unseren Erfahrungen heraus zu versachlichen und anzuregen, dass man miteinander im Gespräch bleibt und auf friedlichem Weg versucht, Konflikte zu lösen. Die Emotionen sollten nicht die Oberhand gewinnen. Der Dialog sollte auch bei Meinungsverschiedenheiten gesucht werden. Das können wir aus dem interreligiösen Dialog lernen und das kann vielleicht auch jetzt helfen.
domradio.de: Wie begegnen Sie dieser Situation denn jetzt persönlich?
Lemmen: Ich mache mir Sorgen um die Entwicklung in der Türkei und um das Schicksal der Menschen dort. Es wird auch Auswirkungen auf Minderheiten und auf Randgruppen haben, die sich jetzt verstärkt in Gefahr sehen. Es ist eine politische Herausforderung, vor der die Staatengemeinschaft steht. Für uns ist es eine Herausforderung, mit den Menschen im Gespräch zu bleiben. Wir wollen versuchen, im persönlichen Gespräch Brücken zueinander zu bauen. Das haben wir im Umgang miteinander im interreligiösen Dialog gelernt, wenn es scheinbar nicht weitergeht und die Lage festgefahren erscheint, haben Gespräche doch immer wieder einen neuen Anstoß gegeben. Dazu rufe ich auch in dieser Situation auf.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.