Islamexperte zum Gebetsverbot für muslimische Schüler

"Die Moschee im Dorf lassen"

Für Gesprächsstoff in den Sozialen Medien sorgte vergangene Woche die Entscheidung eines Wuppertaler Gymnasiums, muslimischen Schülern das Beten zu verbieten. Der Kölner Islamexperte Thomas Lemmen mit einer Einordnung.

Jugendlicher Muslim im Gebet / © Harald Oppitz (KNA)
Jugendlicher Muslim im Gebet / © Harald Oppitz ( KNA )

domradio.de: Die muslimischen Schüler hatten teilweise ihre Gebetsteppiche im Flur ausgerollt - außerdem wurden rituelle Waschungen in den Toiletten vorgenommen. Das Verbot wurde von der Schulleitung verkündet, um das friedliche Miteinander zu fördern. Diese Entscheidung wurde in den Sozialen Medien stark diskutiert. Ist es denn der richtige Weg, das Beten ganz zu untersagen?

Dr. Thomas Lemmen (Theologe und Experte für christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln): Man muss die Kirche, oder besser die Moschee, im Dorf lassen. Muslime sollen fünf Mal am Tag beten; morgens, mittags, nachmittags, abends und nachts. Sieht man sich den Schulalltag an, kommt höchstens das Gebet zur Mittagszeit in Frage. In der Religionsausübung gibt es Regeln, damit flexibel umzugehen. Demnach ist eine Gebetszeit ein Zeitraum und kein Zeitpunkt. Versäumte Gebete können auch an einem anderen Ort nachgeholt werden. Somit muss man sich fragen, ob es hier um ein Anliegen der Religionsausübung geht, wessen man nachkommen sollte oder ob es um eine Provokation geht; denn man kann Gebete auch gut zu Hause oder an anderen Orten verrichten, dazu muss man nicht die Öffentlichkeit suchen. 

domradio.de: Ist dieser Konflikt zwischen den Muslimen, die ja fünfmal am Tag beten sollen, und den Schulen denn ein neues Problem?

Lemmen: Es gab vorher bereits vereinzelte Konflikte und Situationen. 2011 hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit einem Streitfall in Berlin befasst und damals entschieden, dass die Schüler und Schülerinnen natürlich einen Anspruch auf Religionsfreiheit haben, den das Grundgesetz schützt. Allerdings ist es auf der anderen Seite ein berechtigtes Anliegen der Schule, beispielsweise die Wahrung des Schulfriedens. In dem betreffenden Fall hat das Gut der Wahrung des Schulfriedens Vorrang gegenüber dem individuellen Anspruch auf Religionsausübung. 

domradio.de: Es stehen immer wieder Gebetsräume zur Diskussion, wo die Schüler ihre jeweiligen Religionen ausüben können. Wäre das ein Kompromiss? 

Lemmen: Die ordentlichen Orte der Religionsausübung sind Kirchen, Synagogen und Moscheen. Im öffentlichen Raum machen Gebetsstätten nur dann Sinn, wo man keine Möglichkeit hat, seine ordentliche Gebetsstätte aufzusuchen, zum Beispiel am Flughafen, im Gefängnis oder im Krankenhaus, wo man keine andere Wahl hat, als in der öffentlichen Anstalt seiner Religionsausübung nachzukommen. An der öffentlichen Schule frage ich mich allerdings, ob dies notwendig ist oder ob es eine Provokation Einzelner ist. 

Das Gespräch führte Silvia Ochlast.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR