Ist die Kirche eine Verliererin der Pandemie?

"Das ist nicht der Todesstoß"

Die Vorwürfe in der Corona-Pandemie waren zahlreich. Die Kirche habe sich zu ängstlich präsentiert, so ein Kritikpunkt. Das sieht Pastoralreferent Martin Kürble anders. Die Kirche war und sei für die Menschen da - kreativer denn je.

Livestream eines Gottesdienstes / © Corinne Simon (KNA)
Livestream eines Gottesdienstes / © Corinne Simon ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Kirche Ihrer Meinung nach in der Pandemie verhalten, vorbildlich oder ängstlich?

Martin Kürble (Pastoralreferent Seelsorgeeinheit Düsseldorfer Rheinbogen): Ich glaube, wir haben uns insofern vorsichtig verhalten, als dass wir die Verantwortung für unsere Leute, für die Menschen in unseren Gemeinden, wahrgenommen haben. Natürlich mussten auch wir uns zunächst ein bisschen sortieren. Es konnte ja keiner wirklich mit einer Pandemie umgehen.

Pastoralreferent Martin Kürble (DR)
Pastoralreferent Martin Kürble / ( DR )

Aber ich glaube, wir haben sehr schnell umgeschaltet, haben sehr schnell geguckt, wie können wir die Menschen bei uns vor Ort, wie können wir die Menschen, die uns brauchen, erreichen? Ich glaube, diese Aufgabe haben wir auch, zumindest kann ich das für uns hier sagen, ganz gut erfüllt.

DOMRADIO.DE: Kirchenkritiker sagen, dass viele Gläubige eigentlich ein religiöses Angebot der Kirche erwartet hätten. Stattdessen wurden Gottesdienste abgesagt, Weihnachten, Ostern, zum Teil auch wegen des öffentlichen Drucks. Wie war dazu die Diskussion bei Ihnen in der Gemeinde?

Aufhebung von Corona-Einschränkungen im "Dreischritt"

Im "Dreischritt" sollen in Deutschland die Corona-Einschränkungen fallen: Bund und Länder haben sich am Mittwoch auf einen Fahrplan für eine schrittweise Rücknahme der Maßnahmen bis zum Frühlingsanfang geeinigt. Damit gilt ab dem 20. März ein Großteil der Regeln nicht mehr. Der Lockerungsplan beruht auf Empfehlungen des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, umsetzen müssen ihn die Bundesländer. Die wichtigsten Beschlüsse:

Eine FFP2-Maske / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine FFP2-Maske / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Kürble: Natürlich haben wir das auch überlegt. Kann man das wirklich machen, so etwas wie unser höchstes Fest Ostern ausfallen lassen? Wir haben es aber nicht ausfallen lassen. Wir haben darüber verantwortungsvoll diskutiert und haben überlegt, wie wir den Menschen trotzdem nahe sein können und haben sowohl Gottesdienste ins Internet verlegt als auch Menschen eingeladen, sich zum Beispiel etwas an der Kirche abzuholen, kontaktfrei natürlich, aber trotzdem mit einem freundlichen Blick.

Wir haben bei uns zunächst mal circa 500 Ostertüten mit Dingen gepackt, die die Menschen mit nach Hause nehmen können, die sie ansprechen können, mit Impulsen und haben dann tatsächlich gemerkt, was für ein großes Bedürfnis da ist und waren hinterher bei weit über 1.000 Tüten, die wir zum Beispiel zu Ostern gepackt haben.

DOMRADIO.DE: Hat die Corona-Pandemie auch Chancen für die Gemeinden? Wie sehen Sie das?

Kürble: Ja, natürlich. Wir haben uns neu aufgestellt. Vor der Pandemie hieß es immer, wir sehen zehn Prozent der Menschen, nämlich die, die in die Kirche kommen, 90 Prozent sehen wir nicht. Die Zahlen haben sich sicherlich verändert, die zehn Prozent sind erheblich weniger geworden. Aber wir haben, glaube ich, gelernt, in der Pandemie den Blick auf die 90 Prozent noch mal ganz anders zu legen.

Wir schauen, wo die Menschen denn eigentlich sind. Damit meine ich speziell auch den digitalen Raum, den wir vorher ja fast komplett vernachlässigt haben. Da sind wir einfach an den Punkt gekommen, dass wir Menschen ganz anders erreichen können, dass wir Menschen ganz anders ansprechen, professioneller in diesem Bereich. Wir sprechen sie mit ihren Seh- und Hörgewohnheiten an. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Schritt gewesen, den wir für die Zukunft von Gemeinden getan haben.

DOMRADIO.DE: Wir haben vor ein paar Tagen hier mit dem Theologen Thomas Holtbernd gesprochen. Der hat gesagt, dass Corona nur die Bewegung weg von Kirche verstärkt hätte, weil Kirche den Menschen nicht mehr das böte, was sie in einer modernen, komplexen Welt bräuchten. Wie stehen Sie dazu?

Martin Kürble (Pastoralreferent)

"Die Sehnsucht nach religiösen Angeboten ist nach wie vor da bei den Menschen. Ich glaube, dass wir darauf neu antworten."

Kürble: Da werden Seelsorgerinnen und Seelsorger, die ehrenamtlich Engagierten schon ganz schön diskreditiert. Wir waren bei den Menschen. Mit einer Familie an einem Grab in der Pandemie stehen, wo die Menschen sich nicht verabschieden konnten von ihrem lieben Angehörigen. Da haben ganz viele Seelsorgerinnen und Seelsorger, ehrenamtlich Engagierte, eine ganz großartige und wichtige Aufgabe erfüllt in der Pandemie. Ich glaube, nach der Pandemie wird es so sein, dass die Sehnsucht nach religiösen Angeboten nach wie vor da ist bei den Menschen. Ich glaube, dass wir darauf neu antworten.

Es gibt viele digitale Angebote der Kirche / © Anna Nass (shutterstock)
Es gibt viele digitale Angebote der Kirche / © Anna Nass ( shutterstock )

Das merke ich zum Beispiel, wenn jetzt seelsorgliche Anfragen über Social Media bei uns ankommen und wir darauf reagieren können, dann sind das ganz andere Menschen, als wir vorher erreicht haben. Es gibt auch Angebote, die jetzt hybrid sind. Menschen können zu uns kommen und mit uns feiern. Sie können aber auch von zu Hause aus mitfeiern. Ich glaube, dass sich da vieles verändert hat und vieles zum Guten hin verändert hat. Der Bedarf ist nach wie vor da an religiösen Angeboten, an spirituellen Angeboten, an Nähe. Aber auf eine neue Art und Weise. Ich bin der Ansicht, dass wir darauf antworten.

DOMRADIO.DE: Wenn wir mal ein paar Jahre weitergehen und von dort aus dann zurückblicken. Sie würden nicht sagen, dass Corona den Gemeinden den Todesstoß gegeben hat, oder?

Kürble: Keiner von uns brauchte eine Pandemie. Es wäre schön gewesen, wenn wir all das, was wir gelernt haben in dieser Zeit, auch ohne Corona gelernt hätten. Ich glaube, das ist nicht der Todesstoß. Vieles in der Kirche ist wirklich hochproblematisch und schwierig und da wenden sich Menschen ab. Aber das ist nicht die Pandemie, das ist nicht Corona.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR