Jahrhunderthochwasser an Elbe und Donau vor 20 Jahren

Das Geschehene wirkt bis heute nach

Im August 2002 fängt es stark zu regnen an. Der Pegel von Elbe und Donau steigt sprunghaft. Was dann geschah, hieß schon bald "Jahrhundertflut". Das Geschehene wirkt bis heute nach, auch in Sachen Solidarität.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Überschwemmte Elbstraße bei Dresden im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke (KNA)
Überschwemmte Elbstraße bei Dresden im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke ( KNA )

"Das normale Leben geht weiter, aber unter der Decke, da ist die Angst immer noch da - auch 20 Jahre später." Vinzenz Brendler ist Pfarrer der katholischen Pfarrei in Pirna. Die Stadt war 2002 eine der am stärksten vom Hochwasser betroffenen Städte an der Elbe, von der "Jahrhundertflut" regelrecht verwüstet.

Brendler war damals Pfarrer in Dresden-Zschachwitz und auch dort: "Zwei Drittel meiner Pfarrei standen unter Wasser." Als vor einem Jahr die Flut Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz traf, kamen bei den Menschen in Sachsen schlagartig alle Erinnerungen wieder hoch - verbunden mit großer Solidarität und Hilfsbereitschaft. "Denn wir wissen genau, wie das ist", so Brendler.

Das Jahrhunderthochwasser 2002

Es ist Anfang August 2002, als es in Sachsen, Bayern und Tschechien plötzlich immer stärker zu regnen beginnt. Tagelang extreme Regenfälle lassen die Pegelstände von Donau und Elbe sprunghaft ansteigen. Besonders dramatisch ist die Situation in Sachsen. Brücken werden von den Wassermassen weggerissen, Straßen unterspült, Felder verwüstet, ganze Städte überflutet. In Dresden wälzt sich eine Flutwelle durch den Hauptbahnhof, die Universitätsklinik muss evakuiert werden, die Semperoper, die Gemäldegalerie im Zwinger und der Landtag stehen unter Wasser. In der gerade frisch sanierten Hofkirche läuft die Gruft voll. Die Sarkophage und Särge der Wettiner-Fürsten und Könige schwimmen im Wasser, teils geborsten.

Ein Arbeiter steht neben einem Steinsarkophag in der überfluteten Gruft in der Dresdener Hofkirche im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke (KNA)
Ein Arbeiter steht neben einem Steinsarkophag in der überfluteten Gruft in der Dresdener Hofkirche im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Von Sachsen rollt die Flutwelle über Sachsen-Anhalt und Brandenburg Richtung Norden. Am 21. August erreicht sie zunächst Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, wenig später auch Schleswig-Holstein. Das Wasser steigt aber nicht so hoch wie befürchtet, und die Deiche halten. Gleichwohl: Mehr als 40 Menschen starben im Elbe-Hochwasser. Die materiellen Schäden werden später auf 11,3 Milliarden Euro beziffert, wovon 8,6 Milliarden auf Sachsen entfallen.

Die Spenden- und Hilfsbereitschaft damals ist enorm. "Wenn ich bis dahin nicht an Wunder geglaubt habe - da passierten täglich welche", erinnert sich Pfarrer Brendler. Und oftmals sei "Improvisiertes" am Ende am effektivsten gewesen: "Wir haben eine ökumenische Gruppe gebildet, Schäden aufgenommen und geschaut: Wer kann wie helfen, wer kann Wäsche waschen, wer kennt sich mit Bauschäden aus, wer hilft bei Anträgen. Je konkreter die Hilfe, umso besser." Täglich erhielt er zudem Spenden aus ganz Deutschland: "Die Leute wollten, dass das Geld ohne Abzug direkt vor Ort ankommt. Und wir haben es möglichst gerecht verteilt - an alle, nicht nur die eigenen Leute."

Freiwillige Helfer tragen zerstörtes Mobiliar aus den Räumen bei Aufräumarbeiten in der Dresdener Hofkirche im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke (KNA)
Freiwillige Helfer tragen zerstörtes Mobiliar aus den Räumen bei Aufräumarbeiten in der Dresdener Hofkirche im August 2002 (Archivbild) / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Was vom Hochwasser geblieben ist

Heute sieht man in den damaligen Flutgebieten äußerlich kaum noch etwas von der Katastrophe. Doch der oberflächliche Schein trügt. "Indirekt hat Pirna von der Flut profitiert. Alles wurde prima saniert, die Stadt ist ein schmuckes Kleinod geworden", so Pfarrer Brendler. "Wirtschaftlich ist das Eis aber sehr dünn. Spätestens seit dem zweiten Hochwasser 2016 ist bei vielen Betrieben das finanzielle Polster weg oder ganz, ganz dünn. Viele leben hier in der Gewissheit, wenn noch ein Hochwasser kommt, dann ist es aus."

All das mache etwas mit den Menschen, so der Geistliche. "Seit dem Hochwasser ist man insgesamt feinfühliger. Kündigt der Wetterbericht Gewitter oder Starkregen an, steigen sofort Unruhe und Nervosität." Brendler selbst haben seinerzeit auch die permanent über dem gefluteten Ort kreisenden Hubschrauber zugesetzt: "Wenn ich jetzt zum Beispiel Bilder aus dem Kriegsgebieten mit Hubschraubern sehe, dann bin ich sofort sensibel, denn ich weiß, wie sehr Menschen so etwas belasten kann."

Die Verwundung bleibt

"Die Verwundung steckt tief in einem drin", sagt auch Peter Neumann, der 2002 Pfarrer in Bad Schandau nahe der tschechischen Grenze war. 90 Prozent des ehedem blühenden Kurstädtchens standen damals unter Wasser. Anschließend kam Bundespräsident Johannes Rau und sprach den Menschen Mut zu. Neumann sagte ihm: "Wenn die Leute unter sich sind, dann weinen auch die Männer." Es ist auch einer der ersten Sätze, den der heute 81-jährige Priester mit Eindringlichkeit sagt, wenn er sich 20 Jahre später an die Katastrophe erinnert. Und dass man die ganze Tragik und die Nachwirkungen mit ein paar Federstrichen nicht einmal annähernd beschreiben könne.

"Wir kriegen diese Verwundung der Seele nicht mehr los. Die Angst in der Seele bleibt", sagt Neumann. Als das Ahr-Hochwasser vor einem Jahr losging, wirkte es wie ein Trigger in Sachsen. Der alte Pfarrer beschreibt es so: "Da bleibt einem einfach das Herz stehen. Da geht nichts mehr. Man erlebt alles wieder." Als Seelsorger brauche man da nicht mit frommen Sprüchen zu kommen: "Da muss man wieder einfach nur bei den leidenden Menschen sein. Nur nicht alleine lassen."

Quelle:
KNA