Jaroslaw Kaczynski boykottiert das Gedenken der Katastrophe von Smolensk

Wallfahrt wird zum Politikum

Dutzende Hinterbliebene der Flugzeugkatastrophe von Smolensk reisen an diesem Sonntag in die westrussische Stadt. An der Absturzstelle der polnischen Präsidentenmaschine wollen sie genau ein halbes Jahr nach dem Unglück beten und die Namen aller 96 Opfer verlesen. Doch ein Streit überschattet das Gedenken.

Autor/in:
Oliver Hinz
 (DR)

"Wir glauben, dass das hilft, negative Emotionen zu lindern", sagt die Initiatorin der ökumenischen Gedenkfeier, Ewa Komorowska. Die Witwe eines getöteten Regierungspolitikers ist überzeugt: "Unsere Wallfahrt birgt ein großes Potenzial an Liebe und Einheit."



Vom Geist der nationalen Einheit, der in Polen während der Staatstrauer nach dem 10. April vielbeschworen wurde, scheint allerdings nicht viel übrig zu sein. Selbst um die Gedenkfeier am 10. Oktober gibt es Streit. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, Zwillingsbruder des ums Leben gekommenen Staatspräsidenten Lech Kaczynski, boykottiert sie. Der Nachfolger als Staatspräsident, Bronislaw Komorowski, lobt dagegen den "enormen Mut" und die "Entschlossenheit" der Angehörigen. Seine Frau Anna wird als Schirmherrin an der Gedenkfeier teilnehmen.



Aufarbeitung spaltet Polen tief

Die Aufarbeitung der Katastrophe und das Gedenken an die Opfer spaltet Polen tief. Kaczynski und die nationalkonservative Opposition werfen dem neuen, rechtsliberalen Präsidenten Komorowski und seinem Parteifreund, Ministerpräsident Donald Tusk, Verrat und Zynismus vor. Die Regierung sei mitverantwortlich für die Flugzeugkatastrophe, weil sie an der Sicherheit der Maschine und der Ausbildung der Piloten gespart habe. Nicht einmal das Andenken an die Opfer sei den Rechtsliberalen heilig, so der Vorwurf. Kaczynski kündigte deshalb an, er werde Komorowski und Tusk nicht mehr die "Hand geben". Das Regierungslager stellt Kaczynski desto mehr als einen hinterlistigen Wahnsinnigen dar. Dieser versuche, die Katastrophe politisch auszuschlachten und so erneut an die Macht zu kommen.



Eine Verständigung beider Seiten wird so schwerlich gelingen. In dem Konflikt geht es aber auch um die Rolle der katholischen Kirche im Land. Kaczynski nannte Präsident Komorowski diese Woche einen "entschiedenen Gegner der Kirche", der eine "Kampagne gegen die Kirche" begonnen habe. Dazu gehöre auch die Verhaftung eines Bevollmächtigten mehrerer Pfarreien bei der staatlichen Kommission zur Wiederherstellung von enteignetem Kircheneigentum. Dem Mann wird Bestechung von Kommissionsmitgliedern und Betrug von Stadtverwaltungen beim Weiterverkauf von Grundstücken und Immobilien vorgeworfen.



Oppositionsführer Kaczynski sieht durch Komorowski zudem Kreuze im öffentlichen Raum bedroht. So habe er etwa das Holzkreuz für die Opfer von Smolensk vor dem Warschauer Präsidentenpalast entfernen lassen. Der praktizierende Katholik Komorowksi schwieg zuletzt zu den Vorwürfen. Doch insgeheim wünscht er sich wohl mehr Unterstützung von Bischöfen. Komorowski unterrichtete viele Jahre Priesteramtsanwärter in Geschichte und genießt das Vertrauen vieler Geistlicher. So appellierte etwa der Danziger Alterzbischof Tadeusz Goclowski in einem Brief an Kaczynski, den Streit um das Gedenkkreuz zu beenden. Umfragen zufolge schadet Kaczynski sein Konfrontationskurs eher, als dass er ihm nutzt. Seine Partei verliert an Zuspruch. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt demnach Komorowski und Tusk.