"Zeitkorsette sind Unsinn. Egal wie viele Minuten ich spreche, jede Minute muss eine gute sein. Wenn ich grottenschlecht spreche, sind fünf Minuten lang. Wenn ich gut rede, dann sind 20 Minuten kurz.“ Der Politikberater Erik Flügge sagt das und weiß, wovon er spricht. Seit Jahren berät er sowohl die Politik als auch die Kirche in der Frage, wie sie mit ihrer Sprache besser die Menschen erreichen können. Viel hat er zu kritisieren, in der Anmutung und auch der Ausdrucksweise vieler kirchlicher Akteure.
Eine Zeitbegrenzung in der Predigt ergibt für ihn aber keinen großen Sinn. "Choreographie, Lust, Begeisterung“ seien viel wichtiger, um die Menschen im Kirchenschiff auch zu erreichen. "Wenn ich mir einen Kabarettisten oder Schauspieler auf der Bühne anschaue, dann redet der mitunter dreieinhalb Stunden. Trotzdem ist keiner gelangweilt. Eine Predigt ist ein Auftritt, der muss eine gute Struktur haben und die Menschen einfach mitreißen.“
Klarer Gedanke und klares Ziel
Aber schafft man das in fünf Minuten? Pfarrer Gereon Alter aus Essen muss das regelmäßig als Sprecher vom "Wort zum Sonntag“ in der ARD. Eine Predigt sei zwar etwas anderes als ein Fernsehbeitrag, trotzdem gelte für ihn der Grundsatz: Weniger ist mehr. "Es braucht einen klaren Gedanken und ein klares Ziel.“ Viele Predigten seien so lang, nicht weil der Prediger viel zu sagen habe, sondern weil er den roten Faden verliere und "vom Hölzchen auf Stöckchen" komme. Deshalb sei es so wichtig, immer das Ziel im Blick zu haben, dann schaffe man es auch unter zehn Minuten. Fünf Minuten, gesteht er ein, seien für ihn dann aber doch eher ein Impuls als eine Predigt.
Unabhängig von der Zeit sieht der Essener Pfarrer aber viel größere Probleme in einigen Predigten. Da gebe es nicht nur die Prediger, die vom hundertsten aufs tausendste kommen, sondern auch das andere Extrem: die Wort für Wort vom Blatt ablesen oder eine Predigtvorlage verwenden. "Da guckt man höchstens zur Inspiration einmal rein und stellt sie dann ganz schnell wieder in den Schrank.“ Eine Predigt solle aus eigenen Gedanken bestehen. Eine gute Predigt werde nach Überzeugung von Gereon Alter deshalb auch frei gehalten – und trotzdem intensiv vorbereitet. "Ich gucke meistens am Montag schon ins Evangelium und schaue, welche Gedanken mir im Laufe der Woche dazu kommen.“ Im Zweifelsfall sei es aber immer besser den einfacheren, direkteren Ansatz zu wählen. "Ein Gedanke, klar formuliert, und ein Ziel“.
Auch ans Publikum denken
"Es kommt darauf an, dass man etwas zu sagen hat, bei dem die Menschen auch zuhören möchten.“ Ursula Hahmann sagt das, Mitbegründerin der Aachener Gemeinde "Zeitfenster“. Seit Jahren sucht sie mit ihren Mitstreitern schon Mittel und Wege, Gottesdienste interessanter zu gestalten. Auf die Länge der Predigt komme es auch ihr nur bedingt an. "Man muss sich einfach einstimmen auf die Leute, die da sitzen. Man darf nicht mit der Gießkanne sagen: Das ist die richtige Minutenzahl, sondern man muss auch aufs Gesamtbild schauen.“
Wie bekommt man das aber hin? Politikberater Flügge weiß Rat: "Dafür braucht es eigentlich Übung.“ Bühnenkünstler hätten den Vorteil, dass sie jeden Abend das gleiche Programm vorführen. Deshalb sei die Predigt, die nur einmal am Sonntag gehalten wird, von vornherein benachteiligt. Flügge schlägt deshalb ein "Predigtkarussell" vor. Ein kleiner Kreis von Pfarrern sollte sich zusammentun und ihre Predigten reihum, in mehreren Gemeinden, halten. Am Ende komme dann ein geschliffeneres Produkt raus. Wenn das nicht klappt, helfe ein "Feedback-Kreis“ in der Gemeinde, der ehrliche, offene und kritische Rückmeldungen gibt. Wenn der Prediger sich das zu Herzen nehme, sich kurz fasse, und ein klares Ziel vor Augen habe, "dann kann es auch länger sein als fünf oder zehn Minuten“, so Flügge.
Renardo Schlegelmilch