DOMRADIO.DE: "Warum gibt es im Internet diese Bewertungen mit vier oder fünf Sternen nur bei Restaurants? Und nicht auch bei Predigten?", so äußerte sich Kardinal Reinhard Marx in dieser Woche bei den "Augsburger Friedensgesprächen". Was halten Sie von dem Vorschlag?
Regina Laudage-Kleeberg (Preisträgerin des ökumenischen Predigtpreises in der Kategorie "Beste Predigt", Leiterin der Abteilung Kinder, Jugend und junge Erwachsene im Bischöflichen Generalvikariat Essen): Ich bin ein großer Fan. Ich glaube, wir haben in der Kirche ein kleines Problem mit dem Thema Service. Wenn wir Predigten mehr von denen aus denken würden, für die wir sie machen, nämlich von den Leuten, die zuhören, dann hätten wir, glaube ich, auch keine Angst vor Bewertungen. Insofern finde ich die Möglichkeit Feedback zu geben – das ist ja eine Bewertung –, gut.
DOMRADIO.DE: Das könnte allerdings auch zu bösen Überraschungen führen. Wenn die Predigten dann nur schlechte Bewertungen bekommen würden, wäre das natürlich schwierig, oder?
Laudage-Kleeberg: Aber nur weil wir Angst vor schlechten Bewertungen haben, heißt das ja nicht, dass wir nicht bewerten sollten. Ich glaube, es gibt zwei Faktoren. Das eine ist, sich einfach der Bewertung entziehen zu wollen, damit man keine schlechten Kritiken bekommt. Das ist doch naiv. Das andere ist aber eher ein reflektierter Umgang mit dem Thema Bewertungen im Internet.
Wir wissen alle ganz gut, wie wichtig es uns in den Sozialen Medien ist, Likes für das zu bekommen, was wir tun. Viele Influencer und andere Leute in der Social Media-Welt sagen aktuell aber, das hätte sie psychisch fertiggemacht. An den Punkt müssen wir ja nicht kommen. Aber wir sollten uns durchaus Bewertungen aussetzen und Feedback annehmen und zuhören, wenn Leute nicht gut finden, was wir tun.
DOMRADIO.DE: Fehlt es denn Priestern generell zu sehr an Rückmeldungen? Wer geht schon nach einem Gottesdienst zum Priester und sagt: "Das war aber gar nicht gut, was Sie gepredigt haben." Das macht man ja nicht. Man sagt höchstens etwas, wenn es gut war.
Laudage-Kleeberg: Genau, das kenne ich auch so. Ich höre ganz häufig diesen schönen Satz: "Das haben Sie schön gesprochen, schöne Worte." Und ich glaube, das ist auch so. Man kriegt positive Kritik – oder gar keine. Und gar keine Kritik bekommen, führt am Ende im schlimmsten Fall zum Kirchenaustritt. Das merkt man an vielen Stellen. Die Leute haben das Gefühl, sie können keine Kritik geben und gehen irgendwann. Das sollte uns als Kirche interessieren und auf keinen Fall kalt lassen.
DOMRADIO.DE: Wie ist es denn um die Predigt in Deutschland bestellt? Gibt es da in den Kirchen Verbesserungsbedarf?
Laudage-Kleeberg: Auf jeden Fall. Aber da hat jeder sicherlich auch eigene Einschätzungen. Unbedingt, klar – es gibt gute und schlechte Predigten.
DOMRADIO.DE: Sie predigen auch. Sie haben den ökumenischen Predigtpreis gewonnen. Frauen, das heißt Laien, die keine Priester sind, dürfen in der katholischen Messe nach dem Evangelium doch eigentlich gar nicht predigen. Wie geht das denn? Wo predigen Sie denn als katholische Predigerin?
Laudage-Kleeberg: Ich predige ganz, ganz selten. Da haben Sie recht. Den Preis habe ich für einen Gottesdienst bekommen. Es gibt im Bistum Aachen freitagsabends ein Wortgottesdienst-Format. Das heißt, ich habe kirchenrechtliches nichts falsch gemacht.
DOMRADIO.DE: Ist der Begriff Predigt nicht ohnehin etwas altbacken und missverständlich? Wenn man jemandem etwas predigt, dann klingt das so von oben herab – so als wüsste man alles besser.
Laudage-Kleeberg: Wir können ja auch von Ansprache sprechen. Aber ich glaube, das ist gar nicht das Relevante. Ich gehe sonntags in die Kirche, um etwas mitzunehmen für mein Verhältnis zu Gott, für meine Gottesbeziehung und für meinen Glauben – und am besten auch noch für meine Woche. Das heißt, wir haben da doch eigentlich eine ganz einfache Situation. Ob das jetzt Predigt oder Ansprache heißt, ist dabei ganz egal, glaube ich.
DOMRADIO.DE: Sie scheinen ja irgendwas richtig zu machen. Sie probieren bei Ihren Predigten auch ganz unterschiedliche Formate aus. Das kann mal ein Text sein, den Sie als Preacher Slam, also als Gedicht, rhythmisch vortragen. Oder Sie erzählen auch sehr persönlich über Ihre Ehe. Wie stellen Sie Ihre Predigt zusammen, wie gehen Sie da vor?
Laudage-Kleeberg: Ich gucke mir natürlich auch die Bibeltexte an, so wie jeder andere auch. Dabei habe ich eine Freiheit, ich hab da nichts zu studiert. Das heißt, ich bin nicht in diesem Korsett, dass man in der Homilie, in der Auslegung bestimmte Dinge beachten muss. Das hat Vor- und Nachteile. Ich glaube, ein guter Theologe wird sagen, dass manches ein bisschen zu ungenau ist, was ich sage. Das ist vielleicht ein Nachteil.
Der Vorteil ist: Ich gehe das viel freier an. Ich gucke: Was hat das mit mir zu tun? Welcher Satz spricht mich besonders an? Und welcher Satz hat auch Aktualität? Ich sage Ihnen ein Beispiel. Es gibt doch einen ganz tollen Text vom Sämann im Markus-Evangelium. Da geht es darum, dass der Sämann säht, aber gar nicht so viel wächst, vieles verdorrt und vertrocknet. Da könnte man wunderbar zum Thema Leistungsgesellschaft und zum Druck, den wir Menschen uns machen, predigen. Ich habe aber noch nie eine Predigt dazu gehört.
DOMRADIO.DE: Das Thema ist das eine. Was gehört für Sie unbedingt, wenn Sie selber predigen, zu einer guten Predigt dazu?
Laudage-Kleeberg: Der Zuhörende muss erkennen, wer ich bin. Ich glaube, der muss mich als Vorbild im Glauben und im Zweifeln wahrnehmen können. Und ich muss ein bisschen mehr von Gott verstehen.
DOMRADIO.DE: Beim Preacher Slam gibt es ja schon Bewertungen für die Darbietung. Ginge es also, Noten für Predigten zu vergeben?
Laudage-Kleeberg: Ja, das geht. Das halte ich für sinnvoll. Wir haben im Bistum Essen ein Projekt zum Thema Rückmeldekultur zu Gottesdiensten gehabt. Da haben wir das eingeübt mit Fragebögen. Das ist aber etwas, was sich in der Kirche nur ganz langsam etabliert. Wir haben dafür noch keine Kultur. Ich denke aber, wir sollten uns da heranwagen.
Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Natürlich ist das eine aufregende Geschichte, wenn man für das bewertet wird, was man getan hat. Man gibt ja etwas sehr Eigenes preis, aber dennoch bekomme ich dadurch auch einen Maßstab, ob die Leute damit etwas anfangen können und davon Vorteile und Positives mitnehmen können. Ich denke, dem sollten wir uns stellen.
Das Interview führte Heike Sicconi.