Initiative tilgt Medizinschulden armer Amerikaner

Jeder fünfte US-Bürger kann Behandlungskosten nicht bezahlen

Millionen US-Amerikaner haben existenzbedrohende Schulden wegen Arzt- und Krankenhauskosten. Die Spender-Initiative "Ruhe in Frieden" hilft ihnen. Viele Kirchen kooperieren mit den Wohltätern.

Kostenpunkt medizinische Versorgung / © lyalya_go (shutterstock)
Kostenpunkt medizinische Versorgung / © lyalya_go ( shutterstock )

Kurz vor Thanksgiving verschickte die protestantische "Trinity United Church of Christ" in Chicago einen Brief an fast 6.000 Familien im bettelarmen Cook County: "Du sollst wissen, dass alle deine Schulden erlassen sind", heißt es in dem Schreiben der Kirche, die einst Barack Obama zu ihren Gemeindemitgliedern zählte. Die Mitteilung bedeutete für die Empfänger nichts weniger als die komplette Entschuldung von existenzbedrohenden Kosten für Arzt- und Krankenhausrechnungen.

Pfarrer Otis Moss beziffert den Betrag auf 5,3 Millionen US-Dollar, mit denen "Trinity" in Zusammenarbeit mit der Initiative "Rest in Peace" medizinische Schulden der "Ärmsten der Armen" tilgte. Mit Blick auf die dramatische Verschuldungsquote vieler armer US-Amerikaner durch unbezahlte Arztrechnungen nannte Pfarrer Moss die Zeit gekommen, "den moralischen Kompass" wieder einzunorden.

Aufkauf medizinischer Schulden von Gesundheits-Dienstleistern

Seine Gemeinde wirkt daran mit, seit sie von der Initiative einer gemeinnützigen Organisation hörte, die sich "RIP Medical Debt" nennt. Die Idee ist so brillant wie einfach. "Ruhe in Frieden" kauft medizinische Schulden von Gesundheits-Dienstleistern auf, die diese kaum eintreiben können. Allerdings zahlt die Initiative nur einen kleinen Teil der jeweiligen Summen und erlässt sie den Schuldnern. Die Gläubiger lassen sich darauf ein, weil sie so wenigstens etwas zurückbekommen. Die Schuldner sind von der Angst vor Pfändungen befreit.

Die Gründer der 2014 ins Leben gerufenen Initiative, Craig Antico und Jerry Ashton, machten sich ihr jahrelanges Insider-Wissen aus dem Inkassogeschäft zunutze. Sie kennen die Betroffenen und wissen, welche Konsequenzen unbezahlte Krankheitsschulden für die Betroffenen haben können.

Zahl der Hilfebedürftigen riesig

Für einen Schuldenerlass bewerben können sich bei RIP alle, deren Verdienst unterhalb der Armutsgrenze von 25.000 Dollar jährlich für eine vierköpfige Familie liegt und deren Schulden fünf Prozent oder mehr des Nettoeinkommens ausmachen. Auch wer mehr Außenstände als Vermögenswerte belegen kann, kommt für RIP als Empfänger in Frage.

Die Zahl dieser Hilfebedürftigen ist riesig. Jeder fünfte US-Amerikaner kämpft mit medizinischen Schulden. Kosten für Ärzte und Krankenhäuser sind der Grund für 60 Prozent aller US-Privatinsolvenzen. Kein Wunder, können doch statistisch gesehen mehr als 40 Prozent der Bevölkerung nicht einmal 400 Dollar für Notfall-Kosten aufbringen.

Hebelwirkung der Spendengelder

Anfangs operierte RIP nur mit einem Budget von ein paar tausend Dollar. Nach einem TV-Auftritt explodierten dann die Spendeneinnahmen. Für dieses Jahr strebt der in New York registrierte Verein ein Budget an, das sage und schreibe eine Milliarde Dollar an Medizinschulden erlassen könnte. Dabei spielt die Kooperation mit Kirchen wie der "Trinity"-Gemeinde eine maßgebliche Rolle. Diese steuern einen Großteil der Spenden bei.

Für einen Spenden-Dollar der Chicagoer Gemeinde übernahm RIP die Tilgung von 142 Dollar an Medizinschulden. Für 38.000 Dollar konnte Trinity damit mehr als fünf Millionen Dollar Medizinschulden auslösen. Neben "Trinity" machen laut RIP-Mitbegründer Antico bereits 68 Kirchen mit, rund 200 weitere Gemeinden haben Interesse gezeigt, die Initiative zu unterstützen. Der Vorteil besteht für die Kirchen in der Hebelwirkung der Spendengelder. Damit sind auch kleine Kirchengemeinden in der Lage, Hunderte Familien vor dem Bankrott zu retten.

Keine Gegenleistung erwartet

Zum Beispiel die "Revolution Annapolis", eine freie Kirche in Maryland mit gerade einmal 200 Gottesdienstbesuchern, die im März mit 15.000 Dollar an Spenden 1,9 Millionen Dollar an Gesundheitsschulden tilgen konnte. In ihrem Benachrichtigungsschreiben an die 900 Empfänger verzichtet die Gemeinde auf die Nennung ihres Namens. "Wir wollen nicht", so Pastor Kenny Camacho, "dass die Menschen das Gefühl haben, jetzt unsere Kirche besuchen zu müssen."

Der Chicagoer "Trinity"-Gemeinde geht es um mehr als um den Freikauf finanziell bedrängter Patienten. Pfarrer Moss will ins öffentliche Bewusstsein rücken, was Verschuldung durch Krankheit bedeutet. "Wir werden das im Wahljahr zum Thema machen."


Quelle:
KNA