Franziskustreff-Stiftung für offene Begegnung mit Wohnungslosen

"Jeder Mensch hat Autorität über sein Leben"

Schätzungen der Wohnungslosenhilfe gehen davon aus, dass rund 550.000 Menschen in Deutschland kein festes Dach über dem Kopf haben. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher. Bruder Paulus kümmert sich um einen Teil dieser Menschen.

Wohnungsloser Mann auf einer Bank / © Raketir (shutterstock)
Wohnungsloser Mann auf einer Bank / © Raketir ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Für viele Menschen ist wohnungslos und obdachlos der gleiche Begriff. Warum ist das nicht dasselbe?

Bruder Paulus Terwitte OFMCap (Kapuzinerbruder und Vorstand der Franziskustreff-Stiftung in Frankfurt): Menschen, die wohnungslos sind, haben keinen eigenen Mietvertrag. Sie leben entweder bei Freunden oder haben eine vom Staat zugewiesene Einrichtung in der Stadt. In Frankfurt zum Beispiel leben über 2.000 Menschen in Hotels und anderen Einrichtungen. Das sind Menschen, die zwar irgendwie wohnen, aber am Ende keinen eigenen Mietvertrag haben.

Im Unterschied dazu gibt es Obdachlose. Diese Menschen haben dann tatsächlich auch solche Einrichtungen nicht oder wollen dort nicht sein. Sie schlafen beispielsweise in Notbetten in den Notunterkünften. Laut Gesetz steht in Deutschland jedem Menschen ein Bett zu. Aber manche Obdachlose nehmen auch diese Hilfe nicht an und bleiben draußen. Sie möchten ihre Daten nicht angeben und anonym bleiben. In Frankfurt gehen wir von 2.800 obdachlosen Menschen aus, von denen 400 unter freiem Himmel schlafen.

DOMRADIO.DE: In welcher Form engagieren Sie sich für Wohnungs- und Obdachlose im Franziskustreff in der Frankfurter Innenstadt?

Bruder Paulus: An der Liebfrauenkirche und am Kapuziner Kloster hat der Kapuzinerbruder Wendelin vor über 25 Jahren einen Frühstückstreff eingerichtet. Jeden Morgen können hier Menschen von 7.45 Uhr bis 11.15 Uhr frühstücken. Normalerweise haben wir 32 Plätzen für 190 Leute. Jetzt in der Corona-Zeit haben wir nur noch zwölf Plätze und die Leute dürfen nur noch 15 Minuten bleiben. Das sind immer noch 130 Menschen, denen wir hier ein Frühstück, Gastfreundschaft und franziskanische Brüderlichkeit anbieten.

Wir haben über 60 Ehrenamtliche, die sich engagieren. Dazu bieten wir eine Sozialberatung an. Das alles ist von Spendengeldern getragen. Darüber hinaus mieten wir Wohnungen an, damit wir einigen unserer Gäste sagen können: Versuch das doch mal wieder mit dem Wohnen.

Neu ist unsere Kunststation. Wir glauben, dass obdachlose Menschen vor allen Dingen eine Begegnung auf Augenhöhe brauchen. Wir müssen in der Gesellschaft ein Gespräch beginnen, dass Obdachlosigkeit viel früher beginnt: Sei es durch fehlende Miete oder eine Wohnung, dadurch dass der Partner weggeht oder verstirbt oder durch Arbeitslosigkeit und Krankheit. In der Corona-Pandemie sagen auch sehr viele Menschen, dass sie eigentlich in dieser Welt gar nicht mehr zu Hause sind.

DOMRADIO.DE: An der Kunststation ist die Franziskustreff-Stiftung auch beteiligt. Was hat diese Kunststation konkret mit der Situation der Wohnungslosen zu tun?

Bruder Paulus: Sie ist direkt in der Innenstadt, wo ganz viele Obdachlose hausen. Ich habe einen Kulturleiter gefunden, der sehr nah an diesen Menschen ist, der sich in der Stadtszene sehr gut auskennt und auch in der Kunstszene gut vernetzt ist. Er hat sehr viel Freude daran, mit uns zusammen unseren obdachlosen Menschen zu sagen: Hey, guckt doch mal, ob ihr euch ansprechen lasst mit euren kreativen Möglichkeiten.

Unsererseits wollen wir Kunstprojekte initiieren, die zeigen, dass Menschen am Rande eigentlich Schätze in unserer Gesellschaft sind. Darum ist diese Galerie in einem ehemaligen Juwelier-Shop untergebracht, den wir angemietet haben. Wir zeigen Schätze von Menschen, die sonst am Rande sind.

Im Moment läuft eine 14-tägige Ausstellung von zwei jungen Frauen, die für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ein Daumenkino geschaffen haben, in dem 100 Begriffe dargestellt werden. Unter unseren Gästen sind selber Künstler und wir hoffen, dass sie sich anregen lassen, weil sie jetzt einen eigenen Ausstellungsraum haben.

DOMRADIO.DE: Für viele Wohnungs- und Obdachlose ist es eine große Überwindung, zu ihnen zu kommen und diese Hilfe anzunehmen. Wie versuchen Sie, den Menschen hier Mut und Selbstvertrauen zu geben?

Bruder Paulus: Indem wir ihnen einfach als Mitmenschen begegnen, die eine eigene Lebensgeschichte haben und die keine Hilfe wollen, sondern möchten, dass wir ihnen erst mal auf Augenhöhe begegnen und sie ernst nehmen.

Das kennt jeder aus seinem eigenen Leben, dass wir es eigentlich nicht gerne haben, dass Leute von außen kommen und sagen: Du, ich habe da was gesehen, ich muss dir mal helfen. Jeder Mensch hat eine Autorität, wie er sein Leben gestaltet und kann sagen: Ich will jetzt einfach nicht mehr dieses und jenes. Ich habe die Schnauze voll von Schuldnern und von Menschen, denen ich etwas schulde. Ich will ordentlich behandelt werden.

Diese Menschen brauchen eine offene und klare Begegnung, ein echtes Wort. Wir sagen bei uns eine Nächstenliebe, die es ehrlich meint, eine Liebe, die auch Wahrheit und Gerechtigkeit mit ins Feld führt. Deswegen versuchen wir auch, ehrliche und klare Gespräche mit diesen Menschen zu führen, damit sie zur Quelle ihrer Kraft finden.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )
Quelle:
DR