DOMRADIO.DE: Fünf lange Jahre hat der Prozess gedauert. Wie haben Sie ihn erlebt?
Lothar König (Evangelischer Pfarrer in Jena): Ich habe ihn lang, lang und länger erlebt. Ich kann nicht sagen, dass er langweilig gewesen ist, weil es immer wieder Überraschungen gab. Das Wichtigste, was ich mitbekommen habe: Die Nebenklage-Anwälte haben immer wieder die Sicht und die Folgen für die so genannten Opfer, für die Menschen, für die Angehörigen eingebracht. Sie haben viel über diese Menschen, die Betroffenen, das Versagen von Justiz, von Ermittlungsbehörden, von Verfassungsschutz herausgearbeitet. Ich denke, das ist das Wichtige gewesen, auf Missstände in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Die sind ja enorm und, ich denke, das ist in der Gesellschaft angekommen, dass da etwas grundsätzlich schiefgelaufen ist.
DOMRADIO.DE: Die Urteile, die da jetzt morgen gefällt werden, die werden natürlich international genauestens beobachtet und zur Kenntnis genommen. Welche Symbolkraft geht von diesen Urteilen aus?
König: Die Symbolkraft halte ich für ganz wichtig. Ich erwarte, dass ein klares Urteil gesprochen wird, eindeutig angemessen, also nicht übers Ziel hinausschießen. Da hat sich für mich Richter Manfred Götzl im ganzen Prozess doch als mehr oder weniger souverän erwiesen. Und ich gehe davon aus, dass morgen ein klares Urteil gesprochen wird, eine klare Verurteilung, dass die Angeklagten und insbesondere Frau Zschäpe und Herr Wohlleben ein eindeutiges Urteil erfahren werden.
DOMRADIO.DE: Welches Urteil würde Sie denn zufrieden stellen. Was empfinden Sie als angemessen und richtig in diesem Fall?
König: Wissen Sie, das was am Ende herauskommt, nicht, was ich da sehe, ist wichtig, sondern was die Angehörigen, die Betroffenen, die da über Jahre hinweg ein Martyrium durchleben mussten, ist wichtig. Für die Angehörigen von Ermordeten zählt an erster Stelle, dass sie die Erfahrung haben, wir sind frei gesprochen, nicht wir sind schuld, sondern die Neonazis sind schuld. Ein angemessenes Urteil treffe ich nicht. Ich bin ja Pfarrer. Ich will das, was Jesus gesagt hat, ein Stück beherzigen: Ich will nicht andere verurteilen, ich mache selber genug Mist.
DOMRADIO.DE: Sie haben immer wieder kritisiert, dass Warnungen vor rechtsradikaler Gewalt zur Entstehungszeit des NSU nicht ernst genug genommen worden sind oder überhaupt nicht ernst genommen wurden. Haben Sie jetzt den Eindruck, dass die deutsche Gesellschaft aus diesem NSU-Skandal gelernt hat?
König: Ich würde nicht in der Vergangenheit sprechen. Diese rechtsextremistische Gefahr wird nicht ernst genommen. Bis heute nicht. Es werden bestenfalls einzelne Täter herausgegriffen. Diese Verbindung, die Komplexität, die diese fast schon mafiöse Verbindung der Szene, die herrscht bis heute vor und besteht nach wie vor. Und dass die eine Gefahr darstellt: Da wünschte ich, dass unsere Bürger, ich selber auch, wachsen, wachsen und klar und deutlich sagen können: Euch und eure Meinung, die wollen wir nicht. Ihr als Menschen ja. Aber eure Meinung, die geht gar nicht und die hat hier keinen Platz in unserer Gesellschaft.
Das Interview führte Hilde Regeniter.