Jerusalem-Debatte: Was sagen die Christen?

Christen zwischen den Fronten

"Tage des Zorns" haben die Palästinenser angekündigt – weil Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat. Bei Ausschreitungen sind Berichten zufolge schon Menschen gestorben. Wie geht es den Christen vor Ort?

Ausschreitungen in Jerusalem / © Oren Ziv (dpa)
Ausschreitungen in Jerusalem / © Oren Ziv ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Hamas hat zur dritten Intifada aufgerufen, zum dritten Volksaufstand, gegen Israel. Sie kennen die Menschen und ihre Mentalität in Israel und Palästina. Was denken Sie, wird es zu kriegsähnlichen Ausschreitungen kommen oder friedlich bleiben?

Christian Rutishauser (Provinzial der Schweizer Jesuiten und Israel-Experte): Ich denke nicht, dass es zu einer großen Intifada kommt, weil die Situation in der ganzen Region im Augenblick so angespannt ist. Außerdem sitzt der Krieg in Syrien allen noch in den Knochen. Die Gewalt und die Anschläge, die es an verschiedenen Orten durch den Islamischen Staat gegeben haben, stecken im Augenblick noch so tief in den Menschen drin, auch in den Palästinensern natürlich, dass sie zögern, mit einer neuen Intifada auf die Entscheidung Trumps zu reagieren. Wir sind in einer anderen Situation als noch vor fünf oder zehn Jahren.

Zudem hat die Anerkennung durch Amerika und Donald Trump von Jerusalem als Hauptstadt Israels unmittelbar keine rechtlichen Konsequenzen oder Einschränkungen –  von daher würde ich sagen, dass es im Augenblick keine große Intifada geben wird, wie die Hamas sich das wünscht. Dass es aber noch zu Ausschreitungen und Gewalt in den nächsten Tagen kommen kann –  damit muss man denke ich rechnen. 

DOMRADIO.DE: Die Christen stehen zwischen den Fronten und sind deshalb auch die religiöse Gruppe, die das Land am meisten verlässt. Welche Rolle spielen die Christen in dem ganzen Konflikt?

Rutishauser: Zuerst ist es natürlich ein politischer Konflikt und daher sieht man auf der einen Seite die Palästinenser und die Israelis und das ist auch recht so. Die Christen sind natürlich aber die Einheimischen. Es gibt dort vor allem griechisch-orthodoxe, römisch-katholische unierte.

Dann gibt es aber auch Palästinenser, die bei den reformatorischen Kirchen sind, die Lutheraner, und all diese fühlen sich zuerst natürlich als Palästinenser. In dem Sinne teilen sie mit Sicherheit die Anliegen der palästinensischen Seite. Zugleich wissen sie, dass sie auch im palästinensischen Staat oder in einer palästinensischen Gesellschaft eine ganz kleine Minderheit sind.

Früher gab es mehr Christen in der palästinensischen Gesellschaft. Heute ist auch da eine Islamisierung fortgeschritten, Hamas hat ein gewisses Gesicht. Auch die anderen Menschen sind wieder offener für die islamische Tradition. Das macht es natürlich für die kleine christliche Minderheit nicht einfacher. Von daher sind sie so etwas wie zwischen Stuhl und Bank – sowohl in einer israelischen Gesellschaft, als auch in einer palästinensischen sind sie eine kleine verschwindende Minderheit. 

DOMRADIO.DE: Nehmen die Christen denn Stellung in der ganzen Debatte um Jerusalem?

Rutishauser: Ja. Die Patriarchen von Jerusalem, die Kirchenvertreter, haben auch gleich einen Brief an Trump geschrieben und haben appelliert, dass der internationale Charakter der Stadt gewährleistet bleiben soll und dass die verschiedenen ethnischen Rechte da berücksichtigt werden sollen. Außerdem sagen sie, dass es daher wirklich nicht klug sei und dass es eine Provokation für alle sei, dass Jerusalem nun zur Hauptstadt von Israel deklariert wurde. Vor allem müsste da auch eine größere Unterscheidung zwischen Ostjerusalem oder Westjerusalem sein, das würde sehr viel entspannen. Da sind die christlichen Stimmen im Land und gerade jetzt noch mal vertreten durch die Patriarchen auch ganz eindeutig und lehnen natürlich eine solche Erklärung ab.   

DOMRADIO.DE: Die Christen sind aber auch die Volksgruppe, die das Land im Moment am stärksten verlässt. Woher kommt das denn?

Rutishauser: Sie sind nicht die Agierenden und sie können den Konflikt nicht mitbestimmen und gestalten. Sie sind vor allem diesen gesellschaftlichen Mechanismen ausgeliefert. Sie sind oft auch sehr gut gebildet, haben Beziehungen zu anderen Kirchen in Europa, Amerika oder anderen Teilen der Welt, und das führt dazu, dass sie aus der Benachteiligung heraus wollen und dann natürlich das Land verlassen.

Ich denke, was die zivilgesellschaftlichen Verhältnisse betrifft, so sind natürlich die Christen wie die anderen Palästinenser, die muslimischen Palästinenser, ganz stark betroffen und eingeschränkt, wenn Abriegelungen aus Sicherheitsgründen gemacht werden. Andererseits: Der Streit dreht sich ja immer wieder auch um die Immobilien, um das Grundeigentum, das Grundrecht. Das ist jetzt auf der zivilgesellschaftlichen Ebene. Und da versuchen natürlich die Christen so gut wie möglich ihren Boden und ihr Eigentum zu bewahren, selbst wenn Familienmitglieder ausreisen, damit dieses Grundeigentum vor allem in der Hand von christlichen Kirchen oder christlichen Unternehmern bleibt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR