DOMRADIO.DE: Es hat in den vergangenen Tagen mehrere Anschläge gegeben und die Führer der großen christlichen Kirchen und Gruppen in Jerusalem haben jetzt darauf reagiert. Wie denn?
Nikodemus Schnabel OSB (Dormitio-Abtei Jerusalem): Durch eine Erklärung. Ich bin ja da auch mit dabei. Wir verurteilen Gewalt wirklich von jeder Seite. Das ist einfach keine Lösung. Natürlich beten wir und hoffen wir auf den Frieden. Genauso wie die Ukraine uns auch hier beschäftigt. Auch dazu haben wir uns sehr klar geäußert. Wir hoffen und beten einfach. Das ist unsere Hauptaufgabe, auch gerade in Jerusalem. Wir tragen die Sorgen und Nöte der Menschheit auch gerade in diesen Tagen lokal hier vor Ort, aber auch weltweit immer wieder vor Gott.
DOMRADIO.DE: Dann gucken wir auf diese Tage: Was ist bezüglich der Feierlichkeiten zu erwarten, die von drei abrahamitischen Religionen gleichzeitig stattfinden?
Schnabel: Das wird Sie vielleicht überraschen. Die Stimmung ist eigentlich vibrierend, aber nicht vibrierend voller politischer Spannungen und Terrorangst, sondern die Stimmung ist vibrierend, weil es einfach der religiöse Höhepunkt des Jahres für uns drei große Religionen gemeinsam ist.
Der gesamte April ist ja dieses Jahr der Ramadan der Muslime, das heißt, die sind schon in dieser sehr besonderen Stimmung des tagsüber Fastens. Aber nachts wird auch gefeiert. Es ist wunderbar, wenn man jetzt durch das muslimische Viertel geht. Nachts ist das eine wunderbare Stimmung. Man merkt, das ist der Höhepunkt für alle Muslime im Jahr: der Ramadan.
An diesem Samstag ist die erste große Palmsamstagsprozession der Inder und Sri Lanker, weil die am Sonntag arbeiten müssen. Am Sonntag ist dann die große offizielle Prozession mit dem lateinischen Patriarchen. Dann beginnt die heilige Woche.
Und dann, wenn wir West-Christen sozusagen Ostern hinter uns haben, dann fangen die Ost-Christen an, denn die sind eine Woche später dran. Man kann sich also vorstellen, diese gesamte Osterstimmung wird noch mal um eine Woche verlängert, weil dann die Armenier, die Syrer, die Äthiopier, die Griechen und so weiter Ostern feiern.
Und heute ist der letzte Sabbat vor Pessach. Der nächste Freitagabend wird der berühmte Sederabend sein, der Beginn des jüdischen Pessachfestes, was ja dann auch eine Woche dauert. Das heißt, es sind wirklich alle drei Religionen in dieser fiebrigen Vorbereitungsstimmung, wenn ich jetzt an Christen und Juden denke – oder sie sind halt mittendrin wirklich im Höhepunkt des liturgischen Jahres.
Es ist wirklich eine ganz intensive Stimmung. Mir tun nur gerade echt die Atheisten leid, denn es sind die Einzigen, die gerade nichts zu feiern haben.
DOMRADIO.DE: Drei Religionen – und für alle ist Jerusalem so wichtig. Ist es denn für Pilger vor Ort gefährlich. Spüren Sie da etwas?
Schnabel: Eine Gefahr spüre ich nicht vor Ort. Natürlich gibt es eine erhöhte Polizeipräsenz. Die ist aber immer gegeben, wenn die großen Feiertage sind, weil natürlich jetzt auch viele Pilger da sind. Aber das ist eigentlich normal. Im Ramadan ist die Polizeipräsenz sowieso immer erhöht. Natürlich jetzt durch die Anschläge auch noch mal.
Aber wenn man jetzt nicht das Spiel spielt: "Wie viele Polizisten sehe ich?" – und dann sein Angstgefühl darauf aufbaut, sondern einfach schaut, wie die Stimmung in der Stadt ist, dann ist sie wirklich geprägt von dieser religiösen Atmosphäre, die auch voller Freude ist. Die Vorfreude ist intensiv.
Es ist auch so ein Aufatmen. Ich meine, alle haben wir jetzt Corona hinter uns. Das heißt, jetzt endlich mal wieder Palmsonntag und wirklich endlich mal Ostern und zwar wirklich mit Menschen, mit Pilgern. Wir haben ja Pilger. Pessach ist ein jüdisches Wallfahrtsfest, wir haben jüdische Pilger. Viele Muslime wollen auch Ramadan hier in al-Quds, in Jerusalem feiern, in der Heiligen Stadt. Natürlich sind die christlichen Pilger auch wieder da. Das schöne ist aber: nicht in Massen.
Es ist wirklich ein ganz wunderbares Jahr. Die Pilger sind wieder da, aber kein Massentourismus. Es ist wunderbar. So könnte es eigentlich jedes Jahr sein. Es kommen Menschen aus aller Welt, feiern mit uns – aber eben keine Massen, die dann sozusagen die Freude wieder verderben, weil man nur noch irgendwie gucken muss, dass man überlebt, weil die Menschenmassen sich durch die Stadt schieben. Es ist eine ganz tolle Atmosphäre und wirklich ganz intensiv.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.