DOMRADIO.DE: Wo befanden Sie sich, als die schlimmen Nachrichten aus Gaza und aus Israel am Samstag kamen?
Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Ich befand mich in Rom und dachte, dass ich gerade am falschen Ort bin. Ich gehöre jetzt nicht hierhin, ich gehöre nach Hause, ich gehöre zu meinen Brüdern auf dem Zion, ich gehöre zu meinen Brüdern nach Tabgha am See Genezareth.
Dann bin ich über Jordanien geflogen und tatsächlich als ziemlich einsame Person von Jordanien nach Israel eingereist. Leider ist auch der Landweg schwieriger gewesen als geplant. Der klassische Grenzübergang zwischen Jerusalem und Amman, die Allenby Bridge oder King Hussein Bridge, war geschlossen.
Die Ausreisenden kamen mir entgegen und haben mich gefragt, warum ich denn nach Israel will. Ich solle doch bleiben, wo ich bin. Ich habe gesagt, dass ich zu meinen Brüdern will, aber ich habe da wenig Verständnis geerntet. Dann bin ich mit dem einzigen Bus, der noch gefahren ist, mit einem ganz kleinen Grüppchen aus Jordanien rausgefahren. Hinter uns haben sie dann die Grenze geschlossen. Im letzten Bus nach Jerusalem waren nur noch der Busfahrer und ein anderer Mitreisender gewesen.
Seit gestern Abend bin ich wieder zurück und – das ist jetzt ehrlich gemeint – ich bin überglücklich, dass ich da bin, wo ich hingehöre. Ich habe gespürt, dass es meinen Brüdern gut tut, dass ich wieder zurück bin, unseren Angestellten und all den uns Anvertrauten.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihren Mitbrüdern und Freunden?
Schnabel: Jeder ist geschockt. In meinem Freundeskreis gibt es niemanden, der sich über den Angriff freut. Es gibt Entsetzen über diesen unvorstellbaren Ausbruch der Gewalt. Aber es gibt – und das freut mich – eine Besonnenheit. Alle wissen, dass Panik nichts bringt, Aktivismus nichts bringt.
Also machen wir weiter dass, was wir auch in guten Zeiten betonen. Wir wollen eine Oase des Friedens sein. Wenn jemand über unsere Türschwelle geht, soll er spüren, dass er hier durchatmen kann. Deswegen ist unsere Kirche geöffnet, unsere Cafeteria und unser Laden auch. Die Gebetszeiten sind normal.
Sie werden sich wundern, wie viele Menschen dahin kommen. Heute Mittag war noch eine Pilgergruppe da, die mit uns gebetet hat. Es gibt hier Menschen, denen das gut tun, wenn es hier wie gewohnt weitergeht. Und da ist es wichtig, denen zu zeigen, dass wir hier bleiben, dass wir die Treue halten, unsere Gebetszeiten einhalten und Seelsorgegespräche anbieten.
Auch in Solidarität mit den vielen Mitchristen, die sich nicht wie wir privilegierte Europäer einfach ins Flugzeug setzen und abhauen können, sondern diesem Land viel stärker verbunden sind. Es ist für mich auch ein Zeichen der Solidarität, hier zu bleiben.
DOMRADIO.DE: Das heißt, unter den Angestellten und Mitbrüdern in der Dormitio gibt es kein Ansinnen, das Land zu verlassen?
Schnabel: Wir haben hier natürlich Volontäre, Studierende und wenn jemand gehen will, dann ist das sein gutes Recht, von dem auch einige Gebrauch gemacht haben. Was uns Mönche betrifft, ist das aber überhaupt keine Diskussion. Wir bleiben hier. Unsere Angestellten sind Einheimische, die bleiben auch hier. Ich will wirklich nicht kleinreden, was hier passiert, das ist schrecklich. Aber es gibt dieses Phänomen, dass man vor dem Fernseher mehr Angst hat als in der Wirklichkeit.
Wir sind hier in einem sehr stabilen Gebäude, das auch Geborgenheit schenkt und wo wir den Frieden leben. Ich bin kein Politiker, Militär- oder Sicherheitsexperte. Ich muss ehrlicherweise die Frage stellen, was ich als Mönch leisten kann.
Das Einzige, was ich in meiner Gemeinschaft leisten kann, ist, die Türen weiterhin zu öffnen, als Wächter dieses Ortes des Friedens aufzutreten, damit jeder, der hier reinkommt, sich sicher fühlen kann, eine Tasse Kaffee bekommt, ein Gebet sprechen kann und ein offenes Ohr bekommt. In guten wie in schlechten Zeiten. Wir sind auf eine besondere Art und Weise verheiratet mit dieser Stadt und mit diesem Land.
DOMRADIO.DE: Sie erwähnten gerade die Studierenden. Wie geht es mit denen jetzt weiter?
Schnabel: Dafür ist der Deutsche Akademische Austauschdienst verantwortlich, der sich darum in Absprache mit dem Auswärtigen Amt sehr professionell kümmert. Das Studienjahr, über das die Studierenden hier sind, gibt es ja jetzt seit 50 Jahren und da haben wir mit verschiedenen entscheidenden Stellen Kontakt.
Da hören wir regelmäßig nach, wie die Einschätzung der Sicherheitslage ist. Wie die außenpolitischen Einschätzungen Berlins sind und wir halten uns daran. Der Ist-Stand: Das Studienjahr in Jerusalem wird weitergeführt.
Das kann sich – je nach Lage – natürlich ändern. Es ist aber so: Für jeden Menschen, der beschlossen hat, jetzt bei uns zu sein, sei es als Volontär, als Studierender oder als Pilger, spüre ich eine Verantwortung. Es gibt nicht die eine richtige Antwort. Und so wird halt individuell entschieden – in engem Austausch mit den kompetenten Stellen.
DOMRADIO.DE: Wie geht es denn den Christen überhaupt im Heiligen Land?
Schnabel: Danke, dass Sie diese Frage stellen. Wir Christen gehören ausschließlich zur Zivilbevölkerung. Wir sind weder Mitglieder der Terrorgruppen noch der israelischen Armee. Bei diesem furchtbaren Massaker sind aber auch viele Katholiken umgekommen, Migranten aus den Philippinen, aus Indien, Thailand. Wir erleben das wie immer. Die Christen sind auf beiden Seiten Opfer.
Ich bekomme schreckliche Nachrichten aus der Pfarrei "Heilige Familie" aus Gaza. Dort sind vier Häuser von christlichen Familien zerstört worden. Die Christen leiden jeweils mit der Mehrheitsgesellschaft, ohne irgendwo Leid zu verursachen. Der Krieg, der mit diesem beispiellosen Gewaltausbruch der Hamas begonnen hat, hat keinen christlichen Akteur.
Was kann die Rolle der Christen sein? Da kann man jetzt einfach nur sagen: da sein, beten und mit weitem Herzen für die Menschen da zu sein, egal ob für Juden, Christen, Muslime. Auf Versöhnung hinzuarbeiten, Frieden. Das Land kriegt gerade neue Wunden geschlagen, neue Traumatisierungen, neues Leid.
Mir persönlich gibt das Psalmengebet Halt, dieses kraftvolle Gebet, dass diese Erfahrungen vor Gott trägt. Und so kann ich das hier aushalten.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.