Watch the interview in English here:
DOMRADIO.DE: In der Adventszeit blicken Christen aus aller Welt mit der Hoffnung auf Frieden und Besinnlichkeit ins Heilige Land. Im Moment ist dort aber Frieden schwer zu finden. Wie fühlen Sie sich damit als oberster römisch-katholischer Christ im Heiligen Land?
Pierbattista Kardinal Pizzaballa OFM (Lateinischer Patriarch von Jerusalem): Es ist eine sehr schmerzhafte Situation, sehr leidvoll. Manchmal auch frustrierend, das muss ich zugeben. Man fühlt sich machtlos wegen des Hasses, der Verachtung, des Misstrauens, der Ängste, die alles im sozialen, öffentlichen und religiösen Leben beherrschen. Wir müssen widerstandsfähig sein.
Man darf vor dieser Situation nicht kapitulieren. Deshalb ist es für uns als Christen sehr wichtig, gerade in dieser Adventszeit, in der wir in der Erwartung leben, dass Jesus Christus nicht nur ein Wort ist, sondern auch in unserem wahren Leben eine Kraft für das Gute ist.
DOMRADIO.DE: Nachrichten über Gewalt im Nahen Osten sind seit vielen Jahren leider Routine. Sie leben seit 35 Jahren im Zentrum des Geschehens. Hat dieser Krieg eine andere Dimension als frühere Konflikte?
Pizzaballa: Es stimmt, es ist nicht der erste Krieg, den wir erleben. Aber dieser Krieg ist ein Wendepunkt. Es gibt ein Vorher und ein Nachher, denn die emotionalen Auswirkungen auf die beiden Bevölkerungsgruppen, Israelis und Palästinenser, sind enorm.
Der Krieg schafft eine Menge Misstrauen und Hass auf der jeweils anderen Seite. Das ist dramatisch. Die zerstörte Infrastruktur lässt sich wieder aufbauen, aber die Beziehungen werden lange brauchen, um zu heilen. Wir als Kirche müssen auf diese Heilung hinarbeiten.
DOMRADIO.DE: Viele sehen im Krieg in Nahost einen religiösen Konflikt. Die Wahrheit ist aber komplexer. Können die Religionen in dieser Lage nicht einen Impuls für Frieden und Versöhnung setzen? Sie sind ja selbst einer der Religionsführer in Nahost.
Pizzaballa: Religion kann zu einem Förderer der Begegnung und des Lebens werden, wenn wir uns nicht einigeln und mehr auf die anderen achten. Es liegt in der Verantwortung der religiösen Führer, zu entscheiden, was sie sein wollen.
DOMRADIO.DE: Zu Beginn des Gaza-Krieges haben Sie sich selbst als Austauschgeisel an die Hamas angeboten. Das hat weltweite Schlagzeilen gemacht. Wieso sind Sie diesen Schritt gegangen?
Pizzaballa: Ich bin ehrlich gesagt überrascht von der Reaktion, die dieser Schritt ausgelöst hat. Ich habe nicht erwartet, dass das weltweit diskutiert wird. Ich dachte, dass es in dieser Situation des Hasses und der Angst notwendig war, etwas zu ändern.
Ich bin Ordensmann. Ich habe mein Leben Gott geweiht. Ich habe keine Familie. Mein Leben ist natürlich wichtig, wie jedes Leben, aber meine Art zu leben besteht auch darin, das Leben zu geben. Für mich war es also selbstverständlich, etwas zu tun. Ich habe das, was ich gesagt habe, ernst gemeint. Es ist immer auch wichtig, einen Gegenpol gegen die Rhetorik der Gewalt und des Hasses zu setzen.
DOMRADIO.DE: Noch mal zurück zum Advent. Es ist eine Zeit der Hoffnung für Christen in aller Welt. Wo nehmen Sie im Moment Ihre Hoffnung her?
Pizzaballa: Wir dürfen Hoffnung nicht mit Lösung verwechseln. Es gibt im Moment keine politische Lösung. Die Hoffnung kommt aber von innen, sie ist eine Lebenseinstellung. Hoffnung kommt nicht nur aus dem Glauben. Wir sehen ihre Zeichen in unserem Leben und den Taten der Menschen.
So findet man überall, auch im Kriegsgebiet, wunderbare Menschen, die einen Teil ihres Lebens, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben für andere hingeben. Das gibt uns Hoffnung.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.