"Wir brauchen den lieben Gott nicht dauernd Wunder wirken zu lassen, 90 Prozent können wir selbst lösen", sagt Jörg Alt. Wobei seine Worte bei der Vorstellung seines am Montag erschienenen Buches passend zum Titel ein einziger Appell, eine Anklage und auch eine Provokation sind. "Handelt! Ein Appell an Christen und Kirchen, die Zukunft zu retten", heißt das Werk, das der Jesuitenpater als sein persönlichstes Buch beschreibt - ganz im Gegensatz zu seinen Studien, die er sonst veröffentlicht, etwa zum Thema Steuer. Doch er könne eben nun nicht anders, erklärt er: "Verdammt noch mal, uns läuft die Zeit weg."
Anstoß durch Greta und Rezo
Greta Thunberg mit Fridays for Future, die Appelle des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber und das Video des Youtubers Rezo - diese Trias hat Alt zu dem Buch inspiriert. In ihm ruft er Christen und die Kirchen dazu auf, sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen, sondern sich auf Basis der Katholischen Soziallehre für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft einzusetzen. Wobei der Pater den klassischen Dreischritt aus "sehen, urteilen und handeln" schon zu zwei Dritteln erfüllt sieht: "Sehen und urteilen ist bis zum Kotzen abgedeckt."
Aber auch Alt gesteht, dass er nicht mit Patentlösungen aufwarten könne. Im Internetlexikon Wikipedia würden rund 40 verschiedene Wirtschaftsmodelle vorgestellt. Diese auf ihre Tauglichkeit hin zu untersuchen, das müssten Experten machen. Immerhin, schon die Ankündigung des Buches habe dazu geführt, dass Ökonomen Unterstützung durch Promotionsprojekte angeboten hätten. Und auch in den Plänen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht der Jesuit richtige Ansätze.
Aktivist und Kämpfer
Alt spricht viel von Alternativen, doch man hört auch viel Frust aus seinen Worten. Denn der Pater ist schon lange Aktivist und Kämpfer für die gute Sache. So setzte er sich erfolgreich für ein Verbot von Anti-Personen-Landminen oder für soziale Rechte von illegal in Deutschland lebenden Migranten ein.
Sein letztes Projekt zur Einführung einer Steuer auf alle Finanztransaktionen unterstützten mehr als 60.000 Menschen in einer Petition mit ihrer Unterschrift. Doch herausgekommen ist nach jahrelangen Verhandlungen lediglich der Vorschlag einer Aktiensteuer, die Spekulanten davonkommen lasse, schreibt Alt resigniert in seinem Buch. "Das zeigt, welche Macht der Finanzsektor hat", sagt er.
Buch an Bischöfe und ZdK weitergegeben
Deshalb müsse der Politik weiter Druck gemacht werden, fordert der Ordensmann und verweist auf Studien, nach denen es reiche, 3,5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren, um "Eliten und Verantwortungsträger" zum Handeln zu bewegen. Doch warum gelingt es der AfD beim Flüchtlingsthema, wie Alt selbst sagt, Fridays for Future beim Thema Klima dagegen nicht? "Sie sind nicht aggressiv, sondern argumentativ", analysiert der Jesuit. "Man fühlt sich nicht von ihnen bedroht."
Doch das wird sich ändern, ist sich Alt sicher. "Hoffentlich, es muss knallen und es wird knallen, weil die Lage wirklich ernst ist. Es radikalisiert sich." Darauf müssten auch die Kirchen reagieren. "Wer nimmt uns denn noch ernst - wir sind doch viel zu nett." Deshalb habe er das Buch auch schon an Bischöfe und Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) verschickt. Impulse erhofft er sich nämlich auch von der Reformdebatte des Synodalen Weges, aber nicht bei den bisher diskutierten Fragen, etwa über den Zölibat. Es gehe um Wichtigeres. "Wir haben doch existenzielle Probleme, verflixt nochmal."