DOMRADIO.DE: Pater Alt, auch Sie nehmen an Klimaprotesten teil. Was halten Sie von dem Vorwurf und der Rücktrittsforderung durch CDU-Politiker und Politikerinnen gegen die Präses?
Jörg Alt (Jesuitenpater): Das ist ein absoluter Unfug. Hier versucht man durch einen Sündenbock und Stigmatisierung dem eigentlichen Thema auszuweichen. Wenn diese CDU-Politiker fordern, Frau Heinrich solle sich erst mal den Bericht des Weltklimarates durchlesen, dann ist das unglaublich, weil die Proteste wegen der Warnungen des Weltklimarates stattfinden.
Im Weltklimabericht steht, dass wir noch drei Jahre Zeit zum Umsteuern haben. Natürlich tut die CDU/CSU alles, um einer Diskussion auszuweichen, die den Finger in die Wunde legt. CDU/CSU haben den Klimaschutz nämlich jahrzehntelang verbummelt.
DOMRADIO.DE: Der "Letzten Generation" wird Demokratiefeindlichkeit vorgeworfen. Wie sehen sie das?
Alt: Es ist überhaupt nicht demokratiefeindlich. Die "Letzte Generation" bietet vor jeder Protestwelle der Bundesregierung den Dialog an. So steht auch immer eine Absicht hinter dem aktuellen Protest. Bei dem Festkleben auf der Straße geht es um das Tempolimit und die "Letzte Generation" sagt: Wenn wir bei dem Thema vorankommen, sind wir sofort von der Straße.
Die "Letzte Generation" versucht also mit ihrem Protest, die Regierungsparteien zu verfassungskonformem Handeln anzutreiben. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz an Artikel 20 A des Grundgesetzes erinnert. Dort steht, dass auch die natürlichen Lebensgrundlagen und die Zukunft der künftigen Generationen geschützt werden muss, aber die Regierung tut nichts. Das liegt am kleinsten Partnern, der FDP, die bockt und blockt.
Ein Tempolimit wäre schnell umsetzbar; es würde Treibhausgase einsparen und es ist in der Bevölkerung von einer großen Mehrheit gedeckt. Warum setzt man das nicht einfach um? Der "Letzten Generation" jetzt dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben, finde ich einfach nur unredlich.
DOMRADIO.DE: Die CDU wirft der EKD-Präses vor, sich von den Argumenten der Klimaaktivisten habe blenden zu lassen. Wie sehen Sie das?
Alt: Das ist auch dummes Zeug. Abgesehen davon sind die Argumente der "Letzten Generation" deutlich stichhaltiger als die der CDU/CSU. Warum weicht die Union der Debatte um Klimaschutz durch solche Kriminalisierung Versuche aus? Es ist ein billiger Versuch der CDU/CSU, sich aus der inhaltlichen Auseinandersetzung zu stehlen.
DOMRADIO.DE: Wie radikal darf denn eine Protestbewegung sein?
Alt: Es ist ganz klar, dass der Protest der "Letzten Generation" gewaltfrei ist. Es konnte mir bisher keiner das Gegenteil belegen. Durch die "Letzte Generation" ist kein Schaden an Kunstwerken oder an Menschen gekommen ist.
Der Fall des Rüstwagens der Berliner Feuerwehr ist immer noch offen und wirft selbst Fragen auf: Warum hat die Polizei den Verkehr unter der Schilderbrücke, wo die zwei Aktivisten draufsaßen, nicht abgeleitet? Die Aktivisten hätten in diesem Fall vollumfänglich kooperiert. Ich möchte auch wissen, warum die Polizei so entschieden hat und nicht anders. Es gab an diesem Tag keine Blockade an dieser Stelle.
Auch das ist ein Versuch die "Letzte Generation" in Verruf zu bringen; ihr eine Schuld in die Schuhe zu schieben; sie zu diskreditieren und vom eigentlichen Thema abzulenken. Es geht eigentlich um die Klimakatastrophe, die jetzt schon im globalen Süden Menschenleben kostet und im vergangenen Sommer hatten wir auch in Europa eine Übersterblichkeit von mehr als 100.000 Menschen. Wir sind auf einer abschüssigen Straße. Darüber sollten wir diskutieren und nicht dauernd Scheingefechte aufmachen.
DOMRADIO.DE: Das Verständnis für die Proteste der "Letzten Generation" hält sich bei einigen in Grenzen. Wenn alle nur noch über Ankleben oder beschmierte Kunst sprechen, erweisen die Aktivisten damit dem Thema Klimaschutz nicht selbst einen Bärendienst?
Alt: Ziviler Widerstand, ziviler Ungehorsam hat genau das zur Absicht. Zu provozieren und zu polarisieren. Ich bin mit dem Gang der Diskussion in Deutschland sehr einverstanden. Ohne die Proteste der "Letzten Generation" wäre das Klimathema nicht so weit oben auf der Agenda, wie es gerade ist.
Es gibt noch andere wichtige Themen wie die Inflation, der kommende Winter, Corona und der Krieg in der Ukraine. Diese Themen sind auch alle wichtig, aber es kann keiner sagen, dass die "Letzte Generation" ihre Ziele nicht erreicht hätte. Natürlich wäre es dem Aktivisten auch lieber etwas anderes zu tun, wenn es den gleichen Effekt hat. Aber was wäre gleich wirksam oder sogar wirksamer? Bisher habe ich auf die Frage noch nie einen konstruktiven Vorschlag bekommen.
Das Interview führte Dagmar Peters.