Jesuit begrüßt Vorstoß gegen Lebensmittelverschwendung

"Von Best Practices anderer lernen"

Pater Jörg Alt versucht die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, indem er noch genießbare Nahrungsmittel aus Supermarktcontainern holt. Dass Spanien jetzt gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen will, findet er richtig.

Lebensmittel im Müll / © Daisy Daisy (shutterstock)

DOMRADIO.DE: In Spanien soll es bald Geldstrafen für das Wegwerfen und Verschwenden von Lebensmitteln geben. Finden Sie das eine grundsätzlich gute Idee?

Pater Jörg Alt SJ: Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Zumal Spanien nach Frankreich, Italien und Tschechien jetzt schon als viertes europäisches Land eine solche Gesetzgebung auf den Weg bringt. Es ist höchste Zeit, dass das die Runde macht.

Jesuit Jörg Alt holte Lebensmittel aus Abfall-Containern von Supermärkten / © Valeska Rehm (epd)
Jesuit Jörg Alt holte Lebensmittel aus Abfall-Containern von Supermärkten / © Valeska Rehm ( epd )

DOMRADIO.DE: Kann das denn Ihren Augen wirklich etwas bewirken?

Alt: Die Erfahrungen aus Italien und Frankreich zumindest belegen, dass mit der entsprechenden Gesetzgebung die Spenden an gemeinnützige Einrichtungen und Tafeln deutlich gestiegen sind. Warum also sollten wir nicht annehmen, dass das auch in Spanien so sein wird und warum sollte es nicht auch in anderen Ländern so sein?

DOMRADIO.DE: Spanien setzt also künftig auf Geldstrafen, Doggy-Bag- Verpflichtungen und ermäßigte Lebensmittelpreise kurz vor Erreichen der Haltbarkeitsgrenze. Sind das Anregungen, die wir in Deutschland übernehmen sollten?

Alt: Wir sollten von den Best Practices anderer Länder durchaus lernen. Es gibt natürlich auch noch andere Anreize und Methoden, zum Beispiel Steuererleichterungen oder Abschreibungsmöglichkeiten. Es gibt Länder, in denen die Haftungsregeln flexibler gehandhabt werden als in Deutschland.

Aber man soll mir bitte nicht sagen, es sei technisch und rechtlich unmöglich. Das Problem in Deutschland ist schlicht und ergreifend, dass die Politik nicht will.

DOMRADIO.DE: Der Ukraine-Krieg und die russische Getreide-Blockade bringen die Welt schon jetzt an den Rand einer Hungerkrise. Hilft diese Notsituation möglicherweise beim Umdenken in Sachen Lebensmittelverschwendung?

Alt: Wir sollten auf jeden Fall verstehen, dass wir mit einem ganzen Bündel von Krisen leben und auch künftig leben müssen. Und am Ende geht es beim Klimawandel um die Überlebensfähigkeit der gesamten Menschheit. Natürlich spielt da die Frage, wie wir Lebensmittel produzieren, verarbeiten, transportieren, lagern und verwenden eine entscheidende Rolle. Denn indem wir Lebensmittel produzieren, verschmutzen wir die natürlichen Ressourcen, es entstehen Treibhausgase.

Wir nutzen Ackerflächen in armen Ländern, die dort für die eigene Versorgung gebraucht würden. Wir müssen das Problem der Lebensmittelproduktion wirklich dringend angehen.

Das Schöne an der Gesetzgebung in Spanien, Italien oder Frankreich ist übrigens auch, dass sie mit der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung einhergeht. Wir halten so vieles für selbstverständlich, was gar nicht selbstverständlich ist. Da müssen wir einfach umlernen. Dann können wir auch lange eingeübtes Verhalten ändern.

DOMRADIO.DE: Als Sie sich beim Containern selbst dokumentiert und angezeigt haben, wollten Sie da die Öffentlichkeit wachrütteln?

Alt: Ich habe das nicht als Einzelperson gemacht, es gab solche Aktionen in 30 verschiedenen Städten Deutschlands. Mein Fall war wohl besonders prominent, weil ich Jesuit und Priester bin. Wir leben einfach in einer Zeit, wo wir der Politik und der Gesellschaft dringend klar machen müssen, dass wir auf eine Notfallsituation zusteuern, dass wir endlich ins Handeln kommen müssen.

Und wo sollte man anfangen, wenn nicht bei den Lebensmitteln? Insofern müssen wir wohl in unserer Gesellschaft das Mittel des zivilen Ungehorsams stärker einsetzen, um Politik und Gesellschaft wachzurütteln. Denn wir können uns dieses Trödeln der letzten Jahrzehnte nicht länger leisten. Schließlich sagt die Wissenschaft: "Wir haben noch 3 bis 10 Jahre, um das Abgleiten in eine Heißzeit zu verhindern." Das würde Millionen Tote und Milliarden Flüchtlinge bedeuten!

DOMRADIO.DE: Auf der einen Seite kippen wir tonnenweise genießbares Essen in den Abfall, auf der anderen Seite klagen die Tafeln darüber, dass sie viel zu viele Menschen mit viel zu wenig Lebensmittelspenden versorgen müssen. Und dann ist Containern in Deutschland noch immer eine Straftat.

Alt: Genau, es geht darum, das Containern zu  entkriminalisieren. Auch ich kenne immer mehr Menschen, die wegen der steigenden Kosten und der hohen Mieten auf Zusatzversorgung aus der Tonne angewiesen sind, um halbwegs überleben zu können. Es werden ja so viele frische Sachen weggeworfen, die durchaus noch vertretbar sind.

Aber wenn wir zum Beispiel in Deutschland weniger Rinder- und Schweinefleisch essen, dann brauchen wir auch nicht in Brasilien den Regenwald am Amazonas abzuholzen. Wenn wir unser Essverhalten in Europa ändern, nützt das sehr wohl Afrika und den armen Ländern dieser Welt. Auch das ist eine Lektion, auf die der Papst immer wieder hinweist und auch wir, wenn wir solche Aktionen wie das öffentliche Containern machen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR