Jesuiten Flüchtlingsdienst kritisiert Stopp der Mission vor Libyen

"Damit stirbt ein Stück Humanität"

Die EU will die Rettungsaktionen für Migranten vor der Küste Libyens vorerst beenden. Mit diesem Plan gehe der EU ein Stück weit ihr menschlicher Charakter verloren, findet Pater Claus Pfuff vom Jesuiten Flüchtlingsdienst.

Archiv: Zahlreiche Flüchtlinge, die auf Booten von Libyen aus nach Italien übersetzen / © Laurin Schmid/SOS (dpa)
Archiv: Zahlreiche Flüchtlinge, die auf Booten von Libyen aus nach Italien übersetzen / © Laurin Schmid/SOS ( dpa )

DOMRADIO.DE: Weil sich die EU-Staaten nicht einigen können, wer wie viele Flüchtlinge aufnimmt, wollen sie die Flüchtlinge einfach ihrem Schicksal überlassen. Wie finden Sie das?

Pater Claus Pfuff (Leiter des Jesuiten Flüchtlingsdienstes): Damit sterben ein Stück Humanität und ein Stück der Idee Europas. Die Idee hinter Europa ist es doch auch, für Menschen da zu sein, die hier herkommen und dass sie hier in Würde leben können. Das ist ja ein sehr christlicher Ansatz, den wir als Jesuiten natürlich sehr unterstützen.

DOMRADIO.DE: Italien fühlt sich als natürliches Erstaufnahmeland im Stich gelassen. Kann man das nicht ein bisschen verstehen, dass die Italiener sagen: "Wir können das einfach nicht alleine stemmen"?

Pfuff: Schon lange gibt es ein Gerangel darum, wohin die Geflüchteten verteilt werden sollen. Man kann hier die Italiener sicherlich verstehen, weil sie sich alleingelassen fühlen. Schon seit vielen Jahren tragen sie einen Teil der Hauptlast - eben gerade, wenn es um Geflüchtete auf dieser Route von Afrika kommend geht.

DOMRADIO.DE: Italien fordert, dass die geretteten Flüchtlinge gerecht auf alle EU-Länder verteilt werden. Aber dann sind da etwa Ungarn und Polen, die verweigern kategorisch verweigern. Kann die EU solche Mitgliedsländer nicht zwingen, Flüchtlinge aufzunehmen?

Pfuff: Zwang bringt nichts. Man sieht es an anderen Ländern. Nach Bulgarien werden zum Beispiel aus Deutschland Geflüchtete immer wieder abgeschoben. Aber hier sind die Berichte darüber, was dort mit den Flüchtlingen geschieht, nicht gerade positiv. Das führt dazu, zu überlegen, die Geflüchteten eben nicht dorthin zurück zu schicken.

Zum anderen macht Polen immer wieder deutlich: Wir haben mit Geflüchteten oder mit Menschen, die aus der Ukraine kommen, schon genügend zu tun. Ich denke, es müssten andere Wege gesucht und neu diskutiert werden, wie eben auch der Umgang mit Geflüchteten in der EU sein sollte.

DOMRADIO.DE: Was den Streit noch zusätzlich verschärft hat, war, dass die Deutschen gesagt haben: "Wir schicken jetzt vorerst kein Schiff mehr zum Einsatz vor der libyschen Küste." Wie konnte das sein?

Pfuff: Es wurde berichtet, dass die Schiffe nicht zu den Geflüchteten gebracht wurden, sondern eher ganz falsch geleitet wurden. Wenn das stimmt, dann ist es natürlich sinnlos, dafür Leute zur Verfügung zu stellen. Denn damit treibt man eine solche Hilfsmaßnahme zur Absurdität.

DOMRADIO.DE: Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hatte die EU-Staaten mehrfach dazu aufgerufen, doch alles zu tun, damit die Fortsetzung der Rettungsaktion möglich wird. Auch, weil dadurch die Zahl der illegal nach Europa kommenden Migranten gesunken sei. Wie erklärt sich das denn?

Pfuff: Dazu haben zum einen Maßnahmen etwa direkt in Libyen geführt. Etwa wurde die libysche Küsten-Polizei mehr ausgebildet. Damit sind bereits weniger Menschen überhaupt auf das Meer gelangt.

Auf der anderen Seite, wenn weniger Rettungsschiffe auf dem Mittelmeer unterwegs sind, bekommt auch niemand mehr mit, wo letztendlich Flüchtlingsboote untergehen. Man muss einfach sehen: Je weniger Schiffe auf dem Mittelmeer unterwegs sind, je weniger Chancen haben Geflüchtete, gerettet zu werden.

Angesichts der kommenden Sommermonate, wo die Flüchtlingsströme wieder zunehmen, ist natürlich klar, dass nun die Geflüchteten und die Boote aus dem Blickfeld geraten und letztendlich die ganze Situation auch mehr und mehr in Vergessenheit gerät.

DOMRADIO.DE: Was ist da Ihr Appell an die EU-Staaten, vielleicht auch vor der anstehenden Europawahl?

Pfuff: Zuerst einmal ist es ein Appell an die Bürger, wählen zu gehen und zu zeigen, für was für eine EU sie stehen. Was möchten sie in dieser EU? Welche Werte sollen dort wichtig sein? Vor allem für was Europa steht, für welche Idee? Denn ich habe letztendlich den Eindruck, dass die EU immer mehr in diese kleinen Einzelstaaten auseinanderfällt. Jenes Europa, in dem Werte gelebt werden und Menschlichkeit möglich ist, verschwindet immer mehr. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn die Hoffnung, dass da in Sachen Seenotrettung vor der libyschen Küste vielleicht doch noch nicht das letzte europäische Wort gesprochen ist?

Pfuff: Wenn Sie mich fragen: Ich bin ein Mensch, der die Hoffnung nicht so schnell aufgibt. Ich hoffe, dass doch noch ein Umdenken angesichts der vielen menschlichen Schicksale möglich ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender (JRS)
Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender ( JRS )
Quelle:
DR