DOMRADIO.DE: "Die letzte Generation - das sind wir alle", so heißt das Buch. Man könnte aber auch dagegen wetten und sagen, da wird es noch ein paar Generationen nach uns geben.
Jesuitenpater Jörg Alt (Sozialethiker, katholischer Priester und Klimaaktivist): Das schon. Aber wie Barack Obama 2014 so richtig sagte: Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel zu spüren bekommt und wir sind die letzte Generation, die seinen Verlauf ändern könnte. Es geht jetzt in den nächsten drei bis zehn Jahren um die Weichen für die nächsten 100 und 1000 Jahre, die wir stellen können, nachdem wir Jahrzehnte gebummelt haben.
DOMRADIO.DE: Infos über die Klimakrise gibt es zuhauf. Aber gehandelt wird zögerlich. Woran liegt das?
Alt: Das Problem bei der Klimakrise ist im Unterschied zu allen anderen Krisen, die wir kennen, wie Pandemien oder Kriegen, dass sie erst kommt. Aber sie kommt mit einer 99,9 prozentiger Sicherheit und es ist eine Herausforderung an unser Vorstellungsvermögen. Das ist schwierig, weil die Leute sagen, wenn die Krise kommt, dann wird es schon nicht so schlimm werden.
Aber wenn die Klimakrise vor uns steht und wir sie spüren, dann ist es zu spät, noch etwas daran zu ändern. Jetzt haben wir es noch in der Hand, ihren Verlauf zu verlangsamen oder abzumildern.
DOMRADIO.DE: Im Buch geht es unter anderem darum, dass wir alle dazu beitragen können, damit wir doch nicht die letzte Generation sind. Wie?
Alt: Es geht darum, dass wir die letzte Generation sind, die dadurch, dass sie zum Beispiel Treibhausgasemissionen senkt, dazu beitragen kann, dass die Erderhitzung sich in einer maßvollen Grenze hält. Es geht auch darum, wie schlimm es werden wird, was hier auf uns zukommt. Das liegt in unseren Händen.
Der Punkt dieses Buches ist, dass wir deutlich machen wollen, dass es nicht nur eine Sache der jungen Generation ist, denn die "Letzte Generation" wird vor allem als ein Zusammenschluss von jüngeren Leuten wahrgenommen.
Es ist aber eine intergenerationelle Aufgabe und in der "Letzten Generation", ihrem Umfeld und ihren Unterstützern kooperieren jung und alt, um Politik und Gesellschaft wachzurütteln, damit entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Zum Beispiel ein Tempolimit, mit dem man problemlos sofort sieben Millionen Tonnen CO2 einsparen könnte.
DOMRADIO.DE: Auch Solarpanels an der Autobahn sind sinnvoll?
Alt: Alles, was möglich und machbar ist. Wir müssen schauen, dass wir schnellstmöglich das tun, was möglich ist. Denn die Lage ist dramatisch. Das hat der letzte Sachstandsbericht des Weltklimarates wieder deutlich gemacht.
Wir haben in der Tat nur noch drei bis zehn Jahre. Das ist ein Zeitfenster in der Menschheitsgeschichte, das unvorstellbar klein ist für die Aufgaben, die es eigentlich zu bewältigen gilt. Es geht darum, dass wir unser komplettes System von Wirtschaft und Zusammenleben umstellen müssen. Das ist eine gigantische Herausforderung.
DOMRADIO.DE: Das Buch ist von Ihnen zusammen mit einer jungen Aktivistin und einem jungen Aktivisten von der Gruppe "Letzte Generation" geschrieben worden. Was beeindruckt Sie an den beiden jungen Leuten?
Alt: Ich habe beide während ihres Hungerstreiks kennengelernt, den die beiden vor der Bundestagswahl gemacht haben. Denn sie wollten, dass nicht nur über Wirtschaftswachstum, Corona und die schwarze Null gesprochen wird, sondern auch über die Tatsache, dass die Klimakatastrophe schon jetzt im globalen Süden Opfer fordert und die Zukunft der jungen Generation massiv beeinträchtigen wird.
Als Jesuit weiß ich natürlich, dass die Klimakatastrophe im globalen Süden bei unseren Partnern und Mitbrüdern sehr viel Schaden anrichtet. Ich habe gedacht, da muss ich mitmachen, da muss ich unterstützen, dass dieser Hungerstreik, dieses Alarmsignal nicht ungehört verhallt.
DOMRADIO.DE: Und immer sind sie der gleichen Meinung oder gibt es auch Unstimmigkeiten?
Alt: Wir haben sehr viele Diskussionen geführt. Gerade als Henning meinte, dass wir jetzt Autobahnblockaden brauchen, um in unserem Land voranzukommen, habe ich natürlich dagegen argumentiert. Im Rückblick muss ich sagen, Henning hat recht gehabt, denn alle anderen Aktionsformen wie Pipeline abtrennen oder Gebäudefassaden verzieren, regt die deutsche Öffentlichkeit wesentlich weniger auf, als wenn man sich dem Auto in den Weg setzt.
Genau diese Diskussion brauchen wir am Abendbrottisch, dem fossilen "weiter so" einen Widerstand entgegenzusetzen, damit er aufgehalten wird.
Ein anderes Diskussionsthema war der Zeitrahmen. Henning hat immer gesagt, wir haben noch drei Jahre Zeit und ich habe immer dagegengehalten und gesagt, zehn werden es schon noch sein, das ist knapp genug. Aber jetzt kam der verdammte Klimarat um die Ecke und hat gesagt, tatsächlich haben wir nur noch drei Jahre Zeit, bis die Treibhausgase endgültig sinken müssen. Denn sonst war es das mit dem 1,5 Grad Ziel.
Das Interview führte Tobias Fricke.