domradio.de: Sie haben selber lange in Ankara gelebt. Wie beurteilen Sie die Situation in der Türkei?
Felix Körner SJ (Theologe, Islamwissenschaftler und Jesuitenpater): Ich bin natürlich traurig darüber, dass es in der Türkei weitergeht mit den Anschlagsserien. Das bedeutet ja auch, dass es dann weitergeht mit dieser Angst, die in der ganzen Bevölkerung sitzt.
domradio.de: Wie haben Sie die Angst selber erlebt? Haben Sie da ein Beispiel?
Körner: Als ich um Ostern das letzte Mal in Ankara war, wollte ich wieder alle meine Freundinnen und Freunde treffen. Und die sagten mir: Wir treffen uns aber lieber mittags. Abends möchten wir doch alle daheim sein, damit jeder sicher ist, dass die ganze Familie überlebt hat. Also, wenn sich so eine Angst und Beklommenheit durch die breite Bevölkerung zieht, dann ist das nicht nur bedrückend und erweckt unser Mitleid und Mitgefühl, sondern es ist natürlich auch für eine autoritäre Führerfigur günstig.
domradio.de: Warum?
Körner: Weil die dann sagen kann: "Wir sind in einer höchst unsicheren Lage, jetzt brauchen wir klare Vorgaben, eine deutliche Sicherheitspolitik". Und Sie wissen ja, wie oft die Sicherheit gegen die Freiheit abgewogen wird. Da sagt man sich: 'Im Moment müssen wir eben für mehr Sicherheit sorgen und deswegen können wir nicht so viel Freiheiten gewähren´. Also jeder Anschlag liefert auch nochmal Punkte für Erdogans autoritäre Politik.
domradio.de: Erdogan konzentriert immer mehr Macht auf sich, da gibt es nicht viel Grund zur Hoffnung, oder?
Körner: Die ersten Jahre der Regierung Erdogan als Ministerpräsident haben nach wie vor eine Bedeutung für die Türkei. Denn plötzlich war es möglich, Unterschiede im Islamverständnis und im Selbstverständnis der Türken zu leben. Die Generation, die in dieser Zeit groß wurde, begann, eine Vielfalt zu leben. Die steht dem Einfluss und dem Streben nach Einheitlichkeit des Staatspräsidenten klar entgegen.
domradio.de: Jetzt muss die Frage kommen: Warum wählen die ihn dann nicht ab?
Körner: Erstens: Es gibt keine wählbare Alternative, wen sollen sie denn wählen? Und zweitens: Natürlich hat Erdogan auch gute Argumente, die über das religiös-kulturelle hinausgehen. Ein Argument ist: Der Türkei geht es wirtschaftlich sehr gut und das ist natürlich seiner Wirtschaftspolitik größtenteils zu verdanken. Da ist Erdogan ein kluger Politiker. Jetzt schließt er Frieden mit Israel, mit Russland, weil er genau weiß, wie wichtig das wirtschaftlich ist.
domradio.de: Jetzt haben wir viele Urlauber, die vielleicht in die Türkei fliegen wollen und die überlegen, ob sie tatsächlich dahinfliegen sollten. Was sagen Sie?
Körner: Also, die Ratschläge, die auch unser Außenministerium gibt, lauten ja, sich sich von Menschenansammlungen fernzuhalten. Die Türkei ist im Moment leider kein sicherer Platz, aber deswegen jetzt jede Reise in die Türkei abzusagen: Nein!
domradio.de: Warum nicht?
Körner: Es kann einem heutzutage natürlich wirklich überall etwas passieren. Und es bedeutet natürlich auch den vielen, vielen Türken etwas, wenn wir mit unseren Urlaubsreisen zeigen, dass wir uns verstehen als ein Volk, das mit den Türken auf dem Freundschaftsweg ist.
domradio.de: Hätten Sie denn jetzt Angst oder Bedenken, in die Türkei zu fliegen oder dorthin zu fahren?
Körner: Als ich Ostern dort war, habe ich bei den Freunden eine größere Angst gespürt als bei mir. Ich habe keine Angst!
Das Interview führte Johannes Schröer.