Jetzt stellt auch die Regierung die Laufzeitenverlängerung in Frage

Einmal Rolle rückwärts

Die Bundesregierung will die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke vorübergehend aussetzen. Angesichts der Reaktorkatastrophe in Japan werde es ein drei Monate dauerndes Moratorium geben, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel an.

 (DR)

Das sagte die CDU-Vorsitzende am Montag (14.03.2011) in Berlin. Die Sicherheit aller deutschen Atomkraftwerke müsse rückhaltlos und vorbehaltlos überprüft werden. "Alles gehört auf den Prüfstand", sagte Merkel.



FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle hatte zuvor bereits gesagt, er könne sich vorstellen, die im vergangenen Jahr beschlossene Fristverlängerung auszusetzen. Einzelne deutsche Kraftwerke müssten abgeschaltet werden, wenn deren Kühlsysteme nicht mehrfach gesichert seien - und zwar so lange "bis die Lage völlig klar ist". Die Sicherheit habe "oberste Priorität" vor wirtschaftlichen Erwägungen. Westerwelle plädierte zudem für die Bildung einer Expertenkommission, die eine neue Risikoanalyse zur Atomkraft in Deutschland erstellen soll.



Eine Meldung von "Focus Online", wonach auch Merkel die Verlängerung der Laufzeiten hinterfragt, wurde der Nachrichtenagentur dapd aus informierten Kreisen indirekt bestätigt. "Es spricht viel dafür", hieß es.



Gröhe spricht von "Nachdenkphase"

Aufgrund der Vorkommnisse der Japan sei eine "Nachdenkphase" in punkto Atomkraft nötig, sagte auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Sie solle zu einer umfassenden Analyse der Atompolitik in Deutschland genutzt werden. Gröhe fügte hinzu, eine "umfassende Lernbereitschaft" schließe auch ein, "dass wir nachsteuern müssen". Die Details seien derzeit jedoch unklar.



Westerwelle und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollten sich am Nachmittag (16.00 Uhr) im Kanzleramt gemeinsam zur Lage in Japan und den Folgen für die Atomkraftwerke äußern. Am Dienstag wollte Merkel mit den Ministerpräsidenten derjenigen Länder zusammentreffen, in denen Atomkraftwerke stehen.



Schwarz-Gelb hatte im vergangenen Jahr beschlossen, die Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke im Schnitt um zwölf Jahre zu verlängern. Das baden-württembergische Atomkraftwerke Nackarwestheim 1 ist das erste AKW, das davon betroffen war. Nach dem ursprünglichen Atomkonsens von Rot-Grün hätte es im Januar abgeschaltet werden sollen.



Opposition beklagt Verwirrspiel

Die Opposition drängt auf eine schnelle Entscheidung. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die sofortige Stilllegung der sieben ältesten Kraftwerke, darunter Neckarwestheim, Biblis A, Biblis B, und Unterweser, da sie den Sicherheitsanforderungen nicht entsprächen und auch nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert seien. Zugleich warf er der Regierung Beschwichtigungsversuche vor. Das Moratorium sei ein Trick, der "leicht zu durchschauen" sei, sagte er. Damit wolle Schwarz-Gelb sich lediglich über die anstehenden Landtagswahlen hinweg retten.



Auch Grünen-Chef Cem Özdemir klagte, es sei unklar, was mit dem Moratorium gemeint sei. "Wir können keine Verwirrung in dieser Debatte gebrauchen", sagte er und forderte die Regierung auf, "Klartext zu reden". Zudem plädierte er für einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft. "Die ältesten Meiler, darunter Biblis A, Neckarwestheim und Philippsburg gehören abgeschaltet, sofort", betonte er.



Linken-Chef Klaus Ernst bezeichnete die Äußerungen Merkels als "chaotisch und nicht verständlich". "Wenn die Bundeskanzlerin jetzt über die Aussetzung der Laufzeitverlängerungen nachdenkt, kommt sie ein wenig zu spät", sagte er und brachte zugleich die Verankerung eines Atom-Verbots im Grundgesetz ins Spiel. Der Verzicht auf Kernenergie sowie ein Exportverbot von Nukleartechnik müsse in der Verfassung festgeschrieben werden, sagte er.



Atomkraft auch Thema in Bundestag und Bundesrat

Die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke werden in dieser Woche auch Bundestag und Bundesrat beschäftigen. Gabriel kündigte an, dass die SPD gleich drei namentliche Abstimmungen zur Atompolitik im Parlament beantragen will. Auch die Grünen wollten nach Angaben ihres Fraktionschefs Jürgen Trittin einen Antrag zur Rücknahme der Laufzeiten vorlegen. Nordrhein-Westfalen wollte am Freitag im Bundesrat ebenfalls einen Entschließungsantrag einbringen, in dem die Rücknahme der Laufzeitverlängerung sowie die Stilllegung der Altkraftwerke gefordert wird.