Der Gott, an den Johanna Beck als Kind glauben musste, war streng und ohne Gnade: Bei Fehlverhalten drohte die Hölle oder zumindest das Fegefeuer. Nie konnte man ihm genügen. So hatte sie es bei der Katholischen Pfadfinderschaft Europas (KPE) gelernt: "Vor allem habe ich furchtbare Angst vor dem großen ‚Endkampf‘ zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Satan, der offenbar unmittelbar bevorsteht und den nur diejenigen überstehen, die ein völlig sündenfreies Leben geführt haben", schreibt sie in ihrem gerade veröffentlichten Buch: "Mach neu, was dich kaputt macht" über ihre Zeit bei der KPE und die Folgen für ihr Leben.
"Wir bekamen ständig suggeriert: Du scheiterst, du hast etwas falsch gemacht, du sündigst. Da kommt man da ganz schwer raus und damit arbeiten aber auch Gruppierungen wie die KPE", erzählt sie im Interview mit DOMRADIO.DE. "Die Angst der Mitglieder und das geringe Selbstwertgefühl gibt den Oberen Macht!"
Beichtzwang bei Pater Dietmar
In dieser Zeit trat auch Pater Dietmar in ihr Leben, der in Wirklichkeit anders heißt, dessen Namen sie aber in ihrem Buch aus verschiedenen Gründen nicht nennt. Er hatte etwas "Dunkles, Lauerndes, Fanatisches" an sich, schreibt sie, aber der Pflicht zur Beichte bei ihm konnte sich keine in ihrem Stamm entziehen: "Es war immer klar, wenn er mit uns im Zeltlager war oder uns in unserem Stamm besucht hat, dann wird gebeichtet", erzählt Johanna Beck. Sie erinnert sich an unendlich lange Gespräche, in denen es immer um sexuelle Themen ging und er intime Fragen stellte, die das Mädchen vollkommen überforderten. "In diesem Kontext sind auch sexuelle Übergriffe geschehen", fügt sie hinzu.
Manipulation und Unterdrückung
Lange hatten Betroffene es besonders schwer, für ihre Leiden Gehör zu finden. "Es ist nicht so greifbar und kaum nachweisbar", erklärt Johanna Beck. Dabei sind es genau dieses Machtgefälle und der Gehorsam, die den Nährboden für den tausendfach begangenen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche legten.
Irritierende Entscheidung
Dass die KPE sich neu ausgerichtet und "Vorbehalte ausgeräumt" habe, wie die DBK argumentiert, glaubt sie nicht: "Die KPE hat so viele in sich missbräuchliche Strukturen und Denkmuster, dass irgendeine Satzung und irgendein Präventionsprogramm daran nichts grundsätzlich ändern. Das Problem steckt im System!"
Rückkehr zur Kirche
Trotz allem fand Johanna Beck zurück zur Kirche. Ein Zustand, über den sie sich manchmal selbst wundert: Es könnte "eine seltsame Form von Stockholm-Syndrom" sein, mutmaßt sie in ihrem Buch. Darin erzählt sie aber auch, wie sie in ihrer Heimatstadt Stuttgart durch Zufall in einen Gottesdienst geriet, der ihr das unbestimmte Gefühl des Nach-Hause-Kommens gab, während der Priester über einen gütigen, verzeihenden Gott sprach. Das war für sie vollkommen neu.
Heute studiert sie Theologie und gibt der Kirche noch mal eine Chance. Aber sie möchte sie auch verändern. Seit Sommer 2020 ist sie Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. Und sie hat beim Synodalen Weg gesprochen. Sie fordert eine umfassende Missbrauchsaufarbeitung, Kirchenreformen und Geschlechtergerechtigkeit. Nur dann, sagt sie, kann es auch ihre Kirche bleiben: "Diese Dynamik, die gerade zumindest im deutschsprachigen Raum herrscht, kann die Kirche nicht mehr deckeln", davon ist Johanna Beck überzeugt. Die Frage sei nur, was daraus werde: "Wird sich daraus etwas entwickeln, das innerhalb der Kirche stattfinden kann oder wird sich das jenseits der Kirchenmauern entfalten?"