Das staatliche Meinungsforschungsinstitut CBOS stellte nun fest, "dass die Anschuldigungen gegen Johannes Paul II. nicht zu einem Rückgang seiner gesellschaftlichen Autorität geführt haben".
81 Prozent der erwachsenen Polinnen und Polen sagen laut einer Umfrage des Instituts, das frühere Kirchenoberhaupt sei für sie eine moralische Autorität. 14 Prozent sind demnach gegenteiliger Ansicht.
Gleiches Ergebnis wie letztes Jahr
CBOS stellt den Landsleuten von Johannes Paul II. seit vielen Jahren diese Frage. Vor einem Jahr war das Ergebnis fast identisch. Damals sahen ebenfalls 81 Prozent im ersten Papst aus Polen eine moralische Autorität für sich. 17 Prozent verneinten dies, also drei Prozentpunkte mehr als zuletzt.
Allerdings sehen heute mehr Polen Karol Wojtyla kritischer als in den Umfragen des Instituts aus denJahren 2010 bis 2018. Damals schrieben ihm noch 92 bis 95 Prozent moralische Autorität zu.
Maßgeblich für das Ende des Kommunismus' in Polen
Die Meinungsforscher wollten im April 2023 auch wissen, wie Medienberichte eingeschätzt werden, wonach Wojtyla Missbrauchsfälle vertuscht habe. Hier war das Ergebnis bei weitem nicht so eindeutig. 38 Prozent halten diese Informationen für unglaubwürdig, 30 Prozent trauen den Berichten hingegen. Die Übrigen wollten oder konnten sich hier nicht festlegen.
Sicher ist aber dank mehrerer Studien: Johannes Paul II. wird in Polen sehr geschätzt, weil er durch seine Unterstützung für die damalige Demokratiebewegung in seiner Heimat maßgeblich zum Ende des kommunistischen Regimes in Warschau 1989 beigetragen hatte.
Die vielen Fehler im Umgang mit Missbrauchsopfern lasten jedoch bis heute auf der katholischen Kirche in Polen. Schon 2019 sorgte die auf YouTube veröffentlichte Doku "Nur sag es niemandem" des Regisseurs Tomasz Sekielski für viel Aufsehen und Entsetzen. Damals räumten Polens katholische Bischöfe Versäumnisse beim Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch ein. "Wir gestehen, dass wir als Hirten der Kirche nicht alles getan haben, um Leid zu verhindern", erklärten sie in einer in den Kirchen verlesenen Botschaft an die Gläubigen.
Strafen vom Vatikan
Der Vatikan verhängte später gegen rund zehn, meist bereits emeritierte Bischöfe Disziplinarstrafen. Breslaus Alterzbischof Marian Golebiewski (85) setzte sich im März über die Anweisung hinweg und konzelebrierte bei der Bischofsweihe von Slawomir Oder in der Kathedrale von Gliwice (Gleiwitz). Die Glaubenskongregation hatte Golebiewski im Sommer 2021 zu einem "Leben in Buße und Gebet" verurteilt und ihm die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten verboten.
Bischofskonferenz zurückhaltend
Und wie geht die Bischofskonferenz damit um? Ihr Sprecher Leszek Gesiak bezeichnete die Anwesenheit Golebiewskis als "Verstoß gegen einen gültigen kirchlichen Bescheid". Aber kein Bischof, auch nicht der Episkopat-Vorsitzende Stanislaw Gadecki, sei befugt, ihn zu disziplinieren. Schritte gegen den Alterzbischof einzuleiten wegen des Verstoßes obliege allein dem Heiligen Stuhl, so der Sprecher.
Kritiker wundern sich, warum der Nuntius in Polen, Erzbischof Salvatore Pennacchio, Golebiewski nicht selbst davon abhielt, an derMesse teilzunehmen. Schließlich leitete er den Gottesdienst mit. In dem Fall wird noch zu sehen sein, wie ernst der Heilige Stuhl seine eigenen Disziplinarstrafen wegen Fehlverhaltens nimmt.
Unterdessen macht sich die Bischofskonferenz nur langsam daran, sexualisierte Gewalt, die katholische Priester gegen Minderjährige ausübten, aufzuarbeiten. Bisher lässt sie das kirchliche Statistikinstitut zählen und veröffentlichen, wie viele Anzeigen wegen sexuellem Kindesmissbrauch bei den Bistümern und Ordensgemeinschaften eingingen. 2022 waren es 84. Kein Bischof gab eine Studie in Auftrag, ob Vorgesetzte immer richtig reagierten und wer für die Missbrauchsfälle mitverantwortlich war.
Nur ein einzelner Bericht
Einzig die polnische Provinz der Dominikaner legte vor knapp zwei Jahren einen 260-seitigen Bericht zur psychischen, sexualisierten und körperlichen Gewalt eines eigenen, bereits verstorbenen Ordensmanns vor. Sie ernannte den konservativen katholischen Publizisten Tomasz Terlikowski zum Vorsitzenden der Kommission. Das Ergebnis: Die Ordensleitung unternahm viele Jahre nichts gegen den Pater, obwohl sich Geschädigte vielfach an sie gewandt hätten.
Der Erzbischof von Gnesen (Gniezno), Wojciech Polak, dringt nun auf Fortschritte. Er ist nicht nur Polens Primas, sondern auch zuständig für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der Kirche im ganzen Land. "Ich hoffe, dass Untersuchungen unabhängiger Experten der Kirche in Polen zu einer ehrlichen Aufarbeitung der Vergangenheit verhelfen werden, die den historischen und gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt", so Polak. Dies erwarteten die Menschen, denen Leid zugefügt worden sei. Der Schritt sei für die Kirche notwendig, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.
Arbeitskonzept soll vorgestellt werden
Polak will der Bischofskonferenz bei ihrer Vollversammlung im Juni ein Arbeitskonzept für eine geplante Expertenkommission vorlegen. Schon im März hatten sich die Bischöfe für eine solche Untersuchung ausgesprochen. Dem Team sollen laut Polak Historiker, Juristen und Psychologen angehören; Namen von berufenen Fachleuten sind noch nicht bekannt.