DOMRADIO.DE: Sie waren vor und über Pfingsten mit einer Delegation aus ZdK, Maximilian-Kolbe-Werk und Pax Christi in Polen und haben viele Gespräche mit Kirchenvertretern geführt. Kann man sagen, die Reformwünsche, die die Katholiken in Polen haben, sind die gleichen wie bei uns in Deutschland?
Irme Stetter-Karp (Präsidentin des Zentralkomitee der deutschen Katholiken): Das kommt sehr darauf an, mit welcher Organisation wir sprechen. Denn wir haben ja eine bunte Landschaft in der Weise, dass es Organisationen unter den Katholiken gibt, die etwa die PiS-Regierung unterstützen, eine konservative Orientierung haben und beispielsweise auch die Haltung der katholischen Kirche zu queeren Menschen richtig finden und da keinen Veränderungsbedarf sehen.
Und es gibt andere Organisationen, zu denen zum Beispiel auch die KIK, der Club der katholischen Intelligenz in Polen, gehört, die eine ganz andere Richtung vertreten, die sehr froh um unsere deutsche Reformanstrengungen sind, uns solidarisch sind und sich in ihrem Land um Veränderungen bemühen. Ich würde sagen in Polen ist es eine gespaltenere Gesellschaft als bei uns, weil es andere Mehrheitsverhältnisse gibt. Wir waren aber nicht ausschließlich zu christlichen Themen unterwegs waren, sondern auch zu politischen Themen.
DOMRADIO.DE: Geben Sie uns doch mal ein paar Eindrücke. Was haben Sie erlebt in diesen Tagen in Polen?
Stetter-Karp: Wir haben vieles erlebt, weil wir eben auch vielfältige Gesprächspartner hatten. Für mich ist wichtig bei dieser Reise, dass wir realistische Einsichten in unser Nachbarland gewinnen konnten, von dem wir doch auch wissen, dass die Vergangenheit auf beiden Seiten Belastungen hinterlassen hat.
Es ist gar nicht so leicht, sich wirklich jeweils zu verstehen mit der eigenen politischen Linie oder auch mit der eigenen christlichen Linie. Ich finde gerade jetzt wichtig, wo der Krieg neue Belastungen zwischen Ost und West aufwirft, Chancen in einer Begegnung auszuloten. Wir haben beeindruckende Christen getroffen, die uns zeigen, dass auch andere Länder um ein Zeugnis für die Zukunft bemüht sind.
DOMRADIO.DE: Ein großes Konfliktthema in Polen ist der Umgang mit sexuellen Minderheiten. Sie haben eine Gruppe von jungen LGBTQ-Katholiken getroffen, die gerade in einer gesellschaftlich schwierigen Situation stecken. Was erleben sie in Polen und was haben sie Ihnen erzählt?
Stetter-Karp: Wir hörten, dass nicht wenige Jugendliche die katholische Kirche in Polen verlassen, weil diese queere Menschen ablehnt und weil junge Menschen kein Verständnis mehr für diese diskriminierende Haltung aufbringen. Das ist sicher eine Herausforderung für die katholische Kirche, die nicht mehr wie in der Vergangenheit mit einer ganz klaren volkskirchlichen Kultur rechnen kann. Das hat uns auch Kardinal Nycz bei seinem Gespräch so markiert. Sie wissen, dass sie kleinere Gemeinschaften haben werden und da neue Wege suchen müssen.
DOMRADIO.DE: Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen ist ja schon immer kein unkompliziertes gewesen. Durch den Ukraine-Krieg und die Haltung, die Deutschland lange zu Russland hatte, hat sich das Verhältnis eher noch geändert. Ist das ein Thema, was bei Ihnen auch zur Sprache gekommen ist?
Stetter-Karp: Ja, bei mehreren Gesprächen, beispielsweise mit dem deutschen Botschafter in Warschau. Für mich ist deutlich, dass in dem unmittelbar an die Ukraine angrenzenden Land Polen, Russland und seine Politik noch mal schärfer, vielleicht auch realistischer wahrgenommen wird.
Manche sprechen uns Deutschen an der Stelle eine gewisse Naivität zu. Das lässt einen natürlich ins Nachdenken kommen. Wie blauäugig sind wir auf die Entfernung? Wissen wir eigentlich, wie stark die Angst der unmittelbaren Nachbarländer ist? Das gilt ja auch für die Länder im Norden, siehe Finnland und die schnelle Entscheidung, sich politisch klar zum Westen zuzuordnen und die EU-Mitgliedschaft zu suchen. Das sind Aspekte, die mich nachdenklich zurücklassen und aufmerksam sein lassen für die Situation in Polen.
DOMRADIO.DE: Sie schließen mit ihrem Besuch an eine Versöhnungsreise an, die Pax Christi 1964 nach Polen unternommen hat. Inwiefern, denken Sie, ist das Thema Versöhnung auch heute noch problematisch?
Stetter-Karp: Ich denke, es wird eine Daueraufgabe bleiben, weil aus meiner Sicht die Geschichte von Polen sehr stark durch Verletzungen geprägt ist. Polen wurde ausradiert, war lange Zeit als Staat gar nicht existent und die katholische Kirche ist der Faktor, der überhaupt den Staat möglich machte, so haben es uns alle bestätigt. In Polen ist nationales Gedankengut ganz anders verankert als bei uns. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen und überlegen wie Deutschland gegenüber Polen empfindsamer, verletzlicher agieren kann.
Je näher Christen etwa der PiS-Regierung stehen, umso schwieriger wird aber das Gespräch, weil wir weniger Verständnis für eine Verschärfung der Situation haben. Wir versuchen – ich glaube da kann ich für die deutsche Politik sprechen – wegen unserer Vergangenheit das Deutschsein nicht national zu betonen, sondern alles zu tun, um offen zu reagieren. Aber das führt natürlich auch an Grenzen: Was ist möglich an Reparationen in der Zukunft? Sind die Forderungen berechtigt?
DOMRADIO.DE: Sie haben sich mit der "Katholischen Aktion" getroffen, die organisierte Laienvertretung der katholischen Kirche in Polen. Nach dem Gespräch gab es in einer Pressemitteilung ziemlich starke Kritik am Synodalen Weg in Deutschland, den sie ja auch mitverantworten als ZdK. Der Synodale Weg "baue nicht auf dem Evangelium auf". Wie reagieren Sie denn auf diese Kritik nach dem Gespräch?
Stetter-Karp: Wir waren sehr überrascht, weil wir gar nicht über den Synodalen Weg in Deutschland dezidiert gesprochen haben. Wir haben großes Interesse gezeigt, von ihrer Arbeit zu erfahren, dass sie auch ausgiebig genutzt haben. Zudem war gar keine Pressearbeit abgesprochen. Es bleibt der Eindruck: Das ist nicht der beste Stil.
DOMRADIO.DE: Die Realität ist also weder schwarz oder weiß. Es gibt verschiedene Ansichten in Kirche und Gesellschaft - bei uns wie in Polen. Wäre Ihr Fazit, dass wir mehr differenzieren müssen, wenn es um die Gesellschaft wie Polen geht?
Stetter-Karp: Differenzieren und Zuhören. Begegnung ist da ein guter Weg, also sich tatsächlich auch ins Ausland zu begeben. Am Ende der Reise, am Pfingstsonntag, haben wir den ganzen Tag in Ausschwitz verbracht. Da bleibt natürlich für uns deutsche Christen die Frage: Wie stärken wir unsere Fähigkeit zur Versöhnung? Es bleibt ein ständiger Auftrag, der nicht leicht in die aktuelle Situation jeweils zu übersetzen ist. Um gemeinsam mit den Gastgebern zu üben, Fähigkeit zu Solidarität zu nähren und zu stärken, dafür war die Reise eine sehr gute Lernchance.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.