Johannes-Wilhelm Rörig wird neuer Missbrauchsbeauftragter

"Schnelle, konsequente Umsetzung der Empfehlungen"

Johannes-Wilhelm Rörig wird neuer Unabhängiger Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung. Der 52-Jährige Jurist tritt am 1. Dezember die Nachfolge von Christine Bergmann an, deren Amtszeit im Oktober endete. Rörig, bislang Unterabteilungsleiter für Kinder und Jugend im Bundesfamilienministerium, spricht im Interview über sein neues Mandat.

 (DR)

KNA: Herr Rörig, Sie waren viele Jahre lang Büroleiter von Frau Bergmann und zuletzt als Ministerialdirigent im Bundesfamilienministerium für die Begleitung ihre Arbeit zuständig. Setzen Sie nun als neuer Missbrauchsbeauftragter Frau Bergmanns Arbeit eins zu eins fort?

Rörig: Frau Bergmann wird mir auf jeden Fall ein Vorbild sein. Allerdings habe ich als neuer Beauftragter nun etwas veränderte Aufgaben. Ich werde mich vornehmlich auf die Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches gegen sexuellen Kindesmissbrauch konzentrieren.



KNA: Kommenden Mittwoch tagt der Runde Tisch zum letzten Mal und stellt seinen Abschlussbericht vor. Was steht zu erwarten?

Rörig: Viele Empfehlungen aus dem Abschlussbericht von Frau Bergmann finden sich auch in dem Abschlussbericht des Runden Tisches wieder. Aber verschiedene Punkte wurden gar nicht oder nicht deutlich genug aufgenommen. Ich werde prüfen, inwieweit diese trotzdem weiter verfolgt werden können.



KNA: Was fand denn keinen Niederschlag?

Rörig: Zum Beispiel einige Empfehlungen zum rechtlichen Bereich, also dem Opferentschädigungsgesetz und dem Opferschutz. Etwa die psychosoziale Begleitung von Opferzeugen im Strafprozess. Aber auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen sind noch nicht alle aufgeworfenen Fragen geklärt. Hier geht es vor allem um Therapieangebote für Betroffene, gerade auch im Bereich der spezialisierten und alternativen Therapien wie der Traumatherapie oder Kreativtherapien. Offen ist auch die Frage, wie erhebliche Lücken im Beratungsbereich geschlossen werden sollen. Es fehlen flächendeckende Angebote zum Beispiel für Jungen oder ältere Betroffene.



KNA: Und welche eigenen Schwerpunkte wollen Sie nun setzen?

Rörig: Für mich ist entscheidend, dass es jetzt schnell zu einer konsequenten und verbindlichen Umsetzung der vielfältigen Empfehlungen des Runden Tisches kommt. Im Vordergrund steht dabei die Umsetzung der Leitlinien zur Prävention und Intervention.

Beispielsweise haben die Deutsche Bischofskonferenz oder der Deutsche Sportbund schon eine gute Handreichungen vorgelegt. Aber die Verantwortlichen in den Einrichtungen müssen diese jetzt auch wirksam zur Anwendung bringen.



KNA: Und Sie kontrollieren, ob das geschieht?

Rörig: Ja, ob das passiert, werde ich in den kommenden Monaten sehr genau beobachten, aber auch Unterstützung leisten. Einen weiteren Schwerpunkt lege ich auf die Verbesserung von Hilfen für die Opfer selbst. Dazu gehört ganz wesentlich die Reform der bestehenden gesetzlichen Regelsysteme, wie der gesetzlichen Krankenversicherung oder des Opferentschädigungsgesetzes. Insgesamt scheint mir jetzt eine riesige Chance zu bestehen, die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland einzudämmen und auch die Hilfen für Betroffene dauerhaft zu verbessern.



KNA: Können Sie das konkretisieren?

Rörig: Die geplante Einrichtung eines Online-Hilfeportals ist für die Verbesserung von Hilfen ein Beispiel. Dabei soll mit den Betroffenen und den Beratungsstellen zusammen eine Online-Hilfemöglichkeit entwickelt werden, die bundesweit einheitlich erreichbar ist und von sexueller Gewalt Betroffenen unmittelbar Beratung und Hilfe zugänglich macht.



KNA: Sie haben erklärt, er dürfe mit dem Ende des Runden Tisches keine Ruhe einkehren. Sehen Sie die Gefahr?

Rörig: Die Gefahr besteht immer, vor allem nach solch einem intensiven Arbeitsprozess wie dem der letzten 18 Monate. Ich bin aber überzeugt, dass es jetzt wirklich darauf ankommt, nahtlos mit der Umsetzung zu beginnen.



KNA: Frau Bergmann hat mehrfach berichtet, wie emotional belastend die Arbeit als Missbrauchsbeauftragte war...

Rörig: Ich habe äußersten Respekt davor. In meiner beruflichen Laufbahn bin ich schon häufig mit Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs in Kontakt gekommen und weiß, wie nahe einem die Thematik und die Berührung mit Einzelfällen kommen können. Ich habe mit Frau Bergmann in den vergangenen Monaten oft über dieses Thema gesprochen. Sie hat ja die Briefe der Betroffenen alle selbst gelesen, viele Betroffene persönlich gesprochen. Ich werde das ebenfalls tun, denn es ist für die Arbeit wichtig, in einem unmittelbaren Kontakt zu stehen. Wenn die Belastungen zu groß werden, habe ich aber sicher keine Scheu, dies zu artikulieren und damit auch offen umzugehen.



Das Interview führte Karin Wollschläger.