DOMRADIO.DE: Welche Bilanz zieht der Erzbischof, Kardinal Schönborn, nach so langer Zeit als Bischof selbst?
Klaus Prömpers (Journalist und Österreich-Experte): Er selber zieht naturgemäß eine im Großen und Ganzen positive Bilanz. Die spiegelt sich auch ein bisschen in dem Motto aus dem Johannesevangelium, das in seinem Bischofswappen steht: "Vos autem dixi amicos", sprich "Vielmehr habe ich euch Freunde genannt". Das reflektiert, dass er sich auch in Zukunft um Arme kümmern will, soweit ihm das noch mit über 80 möglich ist, wenn er in ein Kloster von Nonnen zieht, die seinem Dominikanerorden nahestehen.
Den Wahlspruch hat er versucht in seiner gesamten Dienstzeit wahr zu machen, mit der er fast den Rekord seines Vorvorgängers, Kardinal König, übertroffen hat. Er kam ins Amt, als der damalige Kardinal Groer wegen Missbrauchsvorwürfen von Priesteramtskandidaten zurücktreten musste, in St. Pölten ein Bischof Krenn konservativst wütete und die katholische Kirche in Österreich höchst zerstritten war.
Es gelang ihm, über die ersten zwei, drei Jahre von 1995 bis 1998 die Kirche einigermaßen wieder zusammenzuführen und den Streit zumindest aus der Öffentlichkeit raus zu nehmen. Es wabert, glaube ich, immer noch einiges im Untergrund.
DOMRADIO.DE: Er hat eine Freundschaft zu Johannes Paul II. gepflegt und kannte auch den jetzigen Papst schon aus seiner Arbeit in Argentinien. Was ist von seinem Leben bekannt? Was ist er für ein Mensch?
Prömpers: Zunächst mal muss man einen Blick auf seinen Ursprung zurückwerfen. Der liegt, wie man in Österreich sagt, in den Kronlanden, sprich in Tschechien. Er war im Grunde ein tschechischer Graf, als er im Januar 1945 geboren wurde. Seine Eltern flohen mit ihm dann nach Österreich, nach Vorarlberg. Das Vorarlbergische kann er mittlerweile natürlich sehr gut sprechen, neben fünf anderen Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch; darüber hinaus Griechisch und Latein.
Er ist ein sehr weltgewandter Mensch. Unter seinen Vorfahren findet man beispielsweise einen Fürsterzbischof von Mainz von 1640, der damals mitten im 30-jährigen Krieg die Hexenverbrennungen für seinen Bereich abgeschafft hat. Er hat einen Vorfahren, der 1700 Reichskanzler war. Es gab bereits im vorigen Jahrhundert einen Kardinal Schönborn in Prag.
Es gibt also eine lange Tradition in der Familie, eine eher konservative Tradition. Das ist er auch, und das spiegelt sich auch in einem seiner Vermächtnisse wider, wenn man so will: Er hat den neuen Katechismus als Sekretär wesentlich mit geschrieben. Man kann sagen, dass das nicht immer zum Vorteil war, denn der wurde wesentlich dicker, als er vorher war. Und ob er nun wirklich noch so befolgt wird, wie sich die Kirche das damals gewünscht haben mag, sei dahingestellt.
DOMRADIO.DE: Schönborn ist Dominikaner, war immer für die armen Menschen da und will es auch weiter sein. An welche seiner Aktionen wird man sich erinnern?
Prömpers: Er hat an verschiedenen Stellen Sprünge gemacht. Er hat unter dem Eindruck von Tatsachen seine Meinung geändert. Beispielsweise, als die ehemalige Nonne Doris Reisinger erst in einem Fernsehgespräch, dann in einem Gespräch mit ihm zusammen in die Öffentlichkeit ging und über ihren Missbrauch, den sie erlitten hatte, sprach. Er hat sich mit ihr auseinandergesetzt und durchaus anerkannt, dass strukturelle Missbrauchsgeschichten in der Kirche vorhanden sind. Und er hat versucht, etwas dagegen zu tun und die Missbrauchskrise in Österreich aufzuarbeiten.
Er hat natürlich auch gesehen, dass die Priesteramtskandidaten immer weniger werden. Er hat die Kirche umstrukturiert und versucht, das auch in Kooperation mit den Laien zu machen. Wobei das Laienwesen in Österreich nach wie vor relativ unterentwickelt ist, was das organisierte Laientum angeht. Die Katholische Aktion ist bei weitem nicht so stark wie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, aber auch auf die ist er zugegangen wie auf viele andere Menschen.
Und er hat jüngst erst in seiner Abschiedsrede vor Journalisten gesagt, diese Kirche stehe für liberale Demokratie auf der Basis von Menschenrechten und Freiheit. Er formulierte seine Zustimmung zu der Gesellschaftsform so: "Das Christentum kann Elemente einbringen, die für die Zukunft entscheidend sind, und das sind die Würde jedes einzelnen Menschen und die Transzendenz und Offenheit jedes Menschen."
DOMRADIO.DE: Auch in Österreich geht es der Kirche mit Blick auf die Gläubigen nicht viel anders, als wir es aus Deutschland kennen. Wie geht er mit dem Schwund von Mitgliedern in der katholischen Kirche um?
Prömpers: Er bedauert das einerseits. Andererseits sieht er aber Chancen, auch außerhalb der offiziellen Kirchenmitgliedschaft. Die Menschen, die austreten und nicht mehr zahlen, sind ja nicht gleich alle Ungläubige.
Er sieht zudem ganz neue Chancen in der Dritten Welt, sprich in Asien, in Afrika, teils auch in Lateinamerika, wo die Kirche wächst. Der Schwerpunkt der Kirche verlagert sich dorthin. Nicht nur, weil wir nun einen Papst aus Lateinamerika haben, sondern weil der auch sehr viele Kardinäle aus der Dritten Welt ernannt hat, aus Orten, die bisher nie Kardinäle gehabt haben. Er sagte voraus, es werde sehr unwahrscheinlich, dass es so schnell noch einmal einen österreichischen Kardinal nach ihm geben werde.
DOMRADIO.DE: Welche Zukunft sieht er denn für die katholische Kirche?
Prömpers: Da sagte er neulich sehr süffisant und zitierte dabei Benedikt XVI.: "Pessimismus oder Optimismus, das ist eine Frage des Temperaments. Worauf es ankommt, das ist Hoffnung." Er hofft nach all den Schwierigkeiten, die die Missbrauchstatbestände geschaffen haben und anderen Verkrustungen der letzten Jahrzehnte, auf eine Zukunft der Kirche, in der sie wieder glaubwürdiger wird.
Er denkt, dass gerade Papst Franziskus zu einem neuen Wind in der Kirche sehr viel beigetragen hat, der nun von den Menschen aufgenommen werden und sich im Alltag widerspiegeln kann. Insofern ist er hoffnungsfroh.
Das Interview führte Katharina Geiger.