Der Grand-Jury-Bericht aus dem Bundesstaat Pennsylvania vom August 2018 zum Thema sexueller Missbrauch war ein Dokument des Grauens für die katholische Kirche in den USA. Nun greift ein langjähriger Reporter der "New York Times" zentrale Aussagen des Untersuchungsberichts in den sechs Diözesen Pennsylvanias an. Teile des Berichts, der eine Vielzahl von Missbrauchsfällen durch Priestern belegt, seien "grob irreführend, unverantwortlich, ungenau und ungerecht", schreibt Peter Steinfels in einem investigativen Artikel für das Magazin "Commonweal".
Die Anschuldigung, dass katholische Bischöfe pauschal und komplett abgelehnt hätten, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, sei nicht richtig. Dagegen seien die zahlreichen im Grand-Jury-Bericht dokumentierten Fälle von sexuellen Vergehen und Übergriffen "schrecklich wahr".
Einem Erdbeben gleich
Der Bericht hatte wegen seiner Dimension dokumentierten Missbrauchs international große Wellen geschlagen. Für die US-Kirche kam er einem Erdbeben gleich. Über sieben Jahrzehnte sollen dem Bericht zufolge mehr als 300 Priester als Täter und über 1.000 Opfer und Betroffene identifiziert worden sein. Die Dokumentation führte zum Rücktritt von Washingtons Erzbischof Kardinal Donald Wuerl (78) und löste ähnliche Untersuchungen in anderen Diözesen aus.
Steinfels argumentiert, es sei eine übertriebene Vereinfachung zu behaupten, "alle" Opfer "in allen Teilen des Staates" seien von der Kirchenleitung ignoriert worden. Auch stimme der Vorwurf nicht pauschal, diese hätten "vor allem die Täter und ihre Institutionen schützen" wollen.
Über einen Kamm geschoren
Der renommierte Publizist erkennt eine Verantwortung des Klerus beim Missbrauch und die Verbrechen an Kindern durchaus an. Er beklagt aber, dass im Jury-Bericht keine Unterschiede zwischen den Diözesen und den einzelnen Bischöfen gemacht werde. Alles sei über einen Kamm geschoren worden.
Ein großer Fehler des Berichts ist laut Steinfels, dass er die Auswirkungen der sogenannten Charta von Dallas von 2002 nicht anerkenne, die eine Zäsur der Kirche im Umgang mit Missbrauch darstelle. Viele Missbrauchsverbrechen seien erst nach 2002 überhaupt bekannt geworden, so Steinfels. "Wie kann man den Bischöfen vorwerfen, dass sie Verbrechen vertuscht haben, von denen sie nichts wussten?"
Vorstellung der Ermittlungsergebnisse
Generalstaatsanwalt Josh Shapiro hatte bei der Vorstellung der Ermittlungsergebnisse von einer "jahrzehntelangen Vertuschung" durch ranghohe Kirchenobere in Pennsylvania und im Vatikan gesprochen. Straffällig gewordene Priester seien in andere Gemeinden versetzt worden. Fast alle Taten seien rechtlich verjährt. Die Dunkelziffer sei vermutlich hoch. "Obwohl die Liste von Priestern lang ist – wir denken nicht, dass wir alle gekriegt haben", so Shapiro im August.
Die meisten Opfer waren der Untersuchung zufolge Jungen, viele von ihnen hatten noch nicht das Alter der Pubertät erreicht. Die Täter hätten Alkohol und Pornografie eingesetzt. Kinder seien begrapscht oder vergewaltigt worden. Laut Bericht wurden Mädchen in manchen Fällen nach einer Vergewaltigung schwanger. Ein Priester habe deshalb auch eine Abtreibung organisiert.
Kirchengipfel Ende Februar
Der Pennsylvania-Bericht betont aber auch, dass sich in den vergangenen 15 Jahren in der US-Kirche viel verändert habe – also seit der "Charta von Dallas". Die Diözesen hätten bei der Erarbeitung des Berichts geholfen. Gleichzeitig seien auch Maßnahmen zum Opferschutz und zur Hilfe für Betroffene ergriffen worden. Die Untersuchung verweist neben manchem Lob aber auch darauf, dass zwei Priester noch innerhalb der vergangenen zehn Jahre Kinder missbraucht hätten.
Schon seit Monaten versuchen die US-Bischöfe, den Bock umzustoßen und Glaubwürdigkeit bei der Aufarbeitung der Skandale zurückzugewinnen. Der Blick richtet sich nun auf den Kirchengipfel Ende Februar, für den Papst Franziskus die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen weltweit in den Vatikan geladen hat. Zumindest bis dahin bleibt die Stimmung im Land weiter explosiv.