domradio.de: Sie haben eine Woche lang die Ordensfrau Schwester Karin Knötig in Frankfurt am Main begleitet. Ihr Besuch liegt jetzt schon einige Zeit zurück, Sie haben Ihre Erlebnisse über mehrere Wochen in verschiedenen Blogeinträgen geteilt. Was war ihr prägendstes Erlebnis in dieser Woche?
Timm Giesbers (Journalist): Ich glaube, das kann ich relativ genau sagen. Das ist nicht mal ein Erlebnis gewesen, das unmittelbar mit Kirche oder Religion zu tun gehabt hätte. Ich habe Schwester Maria, die quasi die Chefin des Ordens in Frankfurt ist, abends begleitet. Die machen Touren für Menschen ohne Wohnung, für Obdachlose, und fahren abends durch Frankfurt, beraten medizinisch und helfen. Schwester Maria ist Ärztin und fährt mit einem Krankenwagen herum, macht ein bisschen Erstversorgung bei wirklichen Problemen und hilft vor allem dabei, dass die Obdachlosen wissen, wo sie mit welchen Verletzungen und Krankheitsgeschichten hin müssen. Das war ein wirklich prägendes Erlebnis. Natürlich kennt man das aus seinem Alltag, dass man Menschen sieht, die betteln oder keine Wohnung haben und auf der Straße sitzen. Aber so massiv abends danach zu suchen und wirklich fündig zu werden mit dutzenden Menschen, die abends auf der Straße schlafen, das fand ich schon extrem beeindruckend.
domradio.de: Wie hat Schwester Karin auf Sie reagiert? War es manchmal schwierig, miteinander warm zu werden oder waren Sie gleich ein Herz und eine Seele?
Giesbers: So würde ich es nicht sagen. Schwester Karin und ich haben einen professionellen Umgang miteinander gefunden. Schwester Karin ist ein stiller Mensch. Sie kommt aus dem bayrischen Wald, da ist das so. Wir haben uns eigentlich ganz gut verstanden. Es war auch kein Kulturschock oder so etwas. Wir sind uns, glaube ich, auf einer ganz guten Ebene begegnet, dass jeder total neugierig auf den anderen war. Ich natürlich aus journalistischer Sicht und Schwester Karin, weil sie das menschlich interessant fand, dass ich mich darauf einlasse. Irgendwie hatten wir ganz viele gegenseitige Fragen, dann ging das ganz gut.
domradio.de: Wie hat Sie diese Zeit verändert? Können Sie Menschen, die glauben, besser verstehen?
Giesbers: Ja, das auf jeden Fall. Ich bin nicht religiös aufgewachsen und kenne das aus meiner Familie eigentlich nicht. Ich habe vorher tatsächlich Gläubige immer so ein bisschen in die Schublade gepackt "Naja, die sind etwas rückwärts gewandt und haben es nicht ganz mitbekommen, dass sich die Welt drumherum geändert hat." Das würde ich jetzt so nicht mehr unterschreiben. Vor allem glaube ich, dass man besser verstanden hat, dass man die Institution – also Kirche – und den Gläubigen schon voneinander unterscheiden muss. In der Haltung, in der Ansprache von Menschen, in dem was man glaubt und, dass jeder so ein bisschen seinen persönlichen Glauben findet. Auch Menschen, die in einem Orden sind, haben einen persönlichen Glauben. Das ist nicht immer exakt das, was die Lehre sagt.
domradio.de: Das Projekt "Gott im Abseits" war ein interaktives Projekt, an dem man auch als Außenstehender teilnehmen konnte. Wie waren die Reaktionen?
Giesbers: Ganz geteilt, sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite, worüber man sich wahrscheinlich immer freut, war viel Zuspruch. Zum einen zu den Texten, indem gesagt wurde, dass sie viel verstanden haben. Oder auch, dass sie sich gefreut haben, dass sich jemand auf das Projekt einlässt. Ich glaube auch, dass viele Gläubige sagen: "Mensch, wir werden immer als Bekloppte von den Leuten abgetan, die nicht glauben. Und da hat sich jetzt mal einfach jemand darauf eingelassen und war neugierig. Das zeigt, dass so eine Begegnung da sein kann und dass man sich auch einfach in seiner Andersartigkeit und in seinem anderen Denken akzeptieren kann und dass das völlig in Ordnung ist innerhalb einer Gesellschaft. Über die negativen Zuschriften, die es auch gab, brauche ich mich nicht zu ärgern.
domradio.de: Wenn man Ihnen so zuhört, könnte man denken, dass Sie ein durchweg positives Fazit ziehen, oder?
Giesbers: Ja. Als Journalist ist es natürlich mein Beruf, mich auf Dinge einzulassen, auf die ich nicht vorbereitet bin und erstmal offen und neugierig an die Sache heranzugehen und nicht voreingenommen zu sein. Für mich war es ein Erfolg, weil ich etwas gelernt habe und ich das Gefühl hatte, ich konnte durch meine Eindrücke vermitteln, wie so ein Ordensleben von Innen aussieht, was für Regeln da herrschen und vor allem auch, dass das gar nicht so weit weg ist von dem Leben, das andere Menschen führen und, dass es vor allem auch einen Wert für die Gesellschaft hat, wenn sich Menschen so sozial engagieren. Ob das nun aus ihrem Glauben heraus ist oder weil sie das einfach gerne möchten. Aber soziales Engagement ist ja erst mal gut. Deswegen wüsste ich nichts, was ich negativ in die Bilanz hineinnehmen müsste, weil ich viel gelernt habe.
Das Interview führte Heike Sicconi.