Journalistin kritisiert Orbans Unterstützung für Kyrill

"Geste gegenüber Putin"

Patriarch Kyrill I. steht hinter Präsident Putin und dem Krieg in der Ukraine. EU-Sanktionen konnten verhindert werden, weil Ungarns Präsident Orban interveniert hat. Die Journalistin Kornelia R. Kiss erklärt, was dahinter steckt.

Viktor Orban / © Geert Vanden Wijngaert (dpa)
Viktor Orban / © Geert Vanden Wijngaert ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat am Freitag in einem Interview gesagt, dass Sanktionen gegen Kyrill die Religionsfreiheit einschränken würden. Ist das denn glaubwürdig oder ist das ein vorgeschobener Grund?

Kornelia R. Kiss (Ungarische Tageszeitung Magyar Hang): Na ja, wenn man die Frage stellt, wie glaubwürdig diese Argumentation eigentlich ist, sollte man vielleicht die Frage stellen, wieso Sanktionen gegen Patriarch Kyrill eigentlich etwas mit Religionsfreiheit zu tun haben. Denn Religionsfreiheit bedeutet letztlich, dass man seine religiöse Überzeugung frei zum Ausdruck bringen kann, sowohl individuell als auch als Gemeinde. Ich denke, man müsste sich sehr, sehr viel Mühe geben, die Reisefreiheit von Patriarch Kyrill mit Religionsfreiheit in Verbindung zu bringen.

 Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban / © Andrew Medichini/AP (dpa)
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban / © Andrew Medichini/AP ( dpa )

Außerdem geht es natürlich auch darum, dass das Kirchenoberhaupt Zugang zu seinem Vermögen innerhalb der EU hat. Hier geht es aber, soweit ich weiß, nicht um das Vermögen der orthodoxen Kirche. Also es geht um Eigentum und nicht um Religion. Deswegen ist es natürlich sehr wahrscheinlich, dass andere politische Bedenken hinter diesem Veto stecken. Am wahrscheinlichsten scheint, dass das Veto als eine Geste gegenüber Putin gedacht wurde. Die enge Beziehung zwischen Putin und der orthodoxen Kirche ist ja bekannt, deswegen schätzt Putin wahrscheinlich diese Geste.

Kyrill verleibt sich orthodoxe Kirche der Krim ein

Die russisch-orthodoxe Kirche (ROK) hat nicht nur den bisherigen Leiter des kirchlichen Außenamtes, Metropolit Hilarion (Alfejew), abberufen, sondern sich auch die orthodoxen Diözesen auf der Krim einverleibt. Das entschied das Leitungsgremium der Kirche, der Heilige Synod, bei seiner Sitzung am Dienstag in Moskau. Die drei Diözesen auf der 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel standen bislang zumindest offiziell noch unter Jurisdiktion der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.

Patriarch Kyrill I. / © Mikhail Metzel (dpa)
Patriarch Kyrill I. / © Mikhail Metzel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ungarn hat ja schon bei der Frage des Öl-Embargos Druck auf die EU gemacht. Warum setzt sich denn die ungarische Regierung so für Russland ein?

Kiss: Es geht einerseits tatsächlich um die Öl-Versorgung. Die ungarische Regierung argumentiert damit, dass es Ungarn zu große wirtschaftliche Probleme bereiten würde, wenn das Land ab sofort auf russische Energie-Importe verzichten müsste. Andererseits gibt es diese Gesten gegenüber Putin, die eigentlich eher symbolisch sind. Es gibt zum Beispiel diese Entscheidung der ungarischen Regierung, dass Ungarn keine Waffenlieferungen über die ukrainisch-ungarische Grenze durchlässt. Aber das schließt nicht aus, zum Beispiel dass Ungarn eventuell Waffen anderer EU-Länder durchlässt, die am Ende dann in der Ukraine landen. Diese Handlungen können also als Gesten gegenüber Putin verstanden werden. Viktor Orban hat seit vielen Jahren eine enge Beziehung mit dem russischen Präsidenten gepflegt und nun muss er sich aber eindeutig auf die Seite von Ungarns Verbündeten stellen. 

DOMRADIO.DE: Was hört man denn allgemein von der ungarischen Regierung in Bezug auf den Ukraine-Krieg? Wird da Klartext gesprochen für die Ukraine oder wird eher vorsichtig argumentiert?

Kiss: Anfangs wurde tatsächlich sehr vorsichtig argumentiert. Das hat auch viel Kritik ausgelöst, sowohl in Ungarn als auch im Ausland. Sogar Polen, ein enger Verbündeter Ungarns, hat zum Beispiel mehrmals klargemacht, dass die Stellungsnahmen Ungarns über die Bedeutung des Friedens einfach nicht ausreichen. Nun gibt es Zeichen dafür, dass Orban den Ton langsam vielleicht ändern möchte. Sofort hat die Fidesz-Mehrheit im ungarischen Parlament Katalin Novak zur Staatspräsidentin gewählt. Und sie hat in ihrer Antrittsrede sofort einen härteren Ton gegenüber Russland angeschlagen, als die Regierung dies früher getan hat. Sie hat darüber geredet, dass Ungarn gegen die Wiederherstellung der Sowjetunion eintreten will. Sie hat Putin persönlich für schuldig erklärt, was den Ukraine-Krieg anbetrifft, was früher in der Regierungskommunikation nicht der Fall war. Also vielleicht hat die Regierung erkannt, dass sie klarer formulieren muss in der Zukunft und nutzt die neue Präsidentin zu diesem Zweck.

DOMRADIO.DE: Ungarn nimmt sehr viele Flüchtlinge aus dem Nachbarland Ukraine auf, das sah bei den Geflüchteten aus dem Nahen Osten noch anders aus, Ungarn hat damals sogar einen Zaun aufgebaut. Was hat sich jetzt geändert?

Kiss: Man muss ergänzen, dass viele Flüchtlinge weiterreisen. Das ist auch, was die Flüchtlingshelfer persönlich erfahren. Es wird tatsächlich viel Hilfe geleistet, aber viele Flüchtlinge bleiben nur eine Weile in Ungarn und wollen sich hier nicht ansiedeln. Die Argumentation der Regierung lautet ja, dass es um Flüchtlinge gehe, die aus dem Nachbarland kommen, für die Ungarn der erste sichere Staat ist. Und natürlich kommt dabei die Frage auf, welche Länder für Flüchtlinge als sicher gelten können und welche nicht. Die ungarische Zivilgesellschaft ist allerdings sehr engagiert in der Flüchtlingshilfe. Man muss hinzufügen, dass das auch 2015 so war. Viele haben humanitäre Hilfe geleistet, damals auch. Jedoch ist das nun anders, denn auch die Regierung ermutigt diese Sachleistungen.

Das Interview führte Julia Reck.

 

Quelle:
DR